Freitag, 28. Dezember 2018

Nona Fernándenz : "Die Toten im trüben Wasser des Mapocho"

Nona Fernándenz :
"Die Toten im trüben Wasser des Mapocho"
Roman
original "Mapocho"
2003
Aus dem chilenischen Spanisch von Anna Gentz
2012, Septime Verlag Wien
254 Seiten + 2 Seiten Anmerkungen der Übersetzerin
ISBN 978-3-902711-09-0

Rucia sucht nach dem Unfalltod ihrer Mutter in Europa zurück in Santiago de Chile nach ihrem Bruder Indio. Der Vater war vor vielen Jahren festgenommen worden - er lebt als Schriftsteller für die Regierung und schreibt die Geschichte um bzw betont manche gewünschte Aspekte mehr und andere dafür weniger. Mutter und Kinder waren nach des Vaters Abholung durch das Militär aus dem Land verschwunden; sie weiß im Gegensatz zu ihren Kindern daß der Vater lebt und Schecks für das Überleben schickt.
Bei ihren Wanderungen durch ihr ehemals bekannte Viertel Santiagos schieben sich ihre Gegenwart, ihre Erinnerungen und Erinnerungen (und Schmerzen) des Viertel übereinander. Dazu kommen Erinnerungen an die - verbotene sexuelle - Annäherung zwischen ihrem Bruder und ihr, die die Mutter zu verhindern suchte. Die Selbstverstümmelung des Bruders an Händen und Augen hindern ihn nicht daran weiterhin zu malen, und auch zu sehen.
Am Schluß fällt viel wie ein Kartenhaus zusammen.

Der Roman hat vier Teile, es für mich emotional nicht logischer wird, aber einige Puzzleteile verzahnen sich etwas.

Der Roman ist faszinierend in dem Liebe, Familie, Gesellschaft, Brutalität, Flucht, Aggression, Selbstaggression, Schmerz, Vernichtung, chilenische Geschichte der Indigenios, namenloses Militär, Besuch des Teufels in Chile, durcheinander gemischt werden.

Unter die Haut gehen die Liebe von Indio zu Rucia, bzw ihrem Bauchnabel. Die vorhandenen Erotikschilderungen sind sinnlich-saftig.
Unter die Haut gehen auch die Stellen mit Grausamkeiten des Militärs an den Menschen die in einem Stadion eingeschlossen sind, das später - mit den Menschen - in Flammen aufgeht.

Die zwei kreativen Gestalten im Buch scheitern : Der Vater - Fausto - der als Instrument der Diktatur die Landesgeschichte fälscht, und nicht mehr zu seinen eigenen Geschichten für Kinder oder seinem Roman kommt. Indio der offenbar grandios malt und darstellt, aber weder in Europa, noch zurück in Chile anerkannt wird, und dessen Werk komplett zerbröselt.
Rucia versucht zu kitten und scheitert ebenso.

In Summe ein sehr faszinierender Roman, für den ich auf Grund seiner Dichte länger gebracht habe, um ihn zu lesen. Viel Freude bei diesen gedanklichen Ausflügen !

Nona Fernándenz wurde 1971 in Santiago de Chile geboren. Sie ist Schauspielerin, Drehbuchautorin und freischaffende Schriftstellerin.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Marie Anders : "Die finnische Socke"

Marie Anders :
"Die finnische Socke"
2018, Verlag Federfrei
320 Seiten
ISBN 978-3-99074-022-4

Bei einem Ärztekongreß in Salzburg werden zuerst zwei Ärzte ermordet, später eine Arztassistentin an einem See, und eine Arztgattin wird gerade noch gerettet. Inspektor Quentin Neuner, Staatsanwalt Lukas Steiner und Neuners Assistentin Charlie Renner sowie die Pathologin Katherina Wild recherchieren bei den Ärzten. Hier geht es um eine gehobene Burn Out Therapie aus Finnland und Forschungen gegen biochemische Waffen. Verquickt werden Immoboliensuche, alte japanische Kampftechnik, Verbindungen außerhalb von Ehen, und auch unerfüllte Liebessehnsüchte. Schlußendlich ist es ein klassisches Mordmotiv, durch das die Taten kalt und bedenkenlos durchexekutiert wurden.

Die Personen der Handlung in diesem zweiten Band mit Quentin Neuner sind gut geschildert. Die Truppe der Polizei und des Rechts durchaus sympathisch.
Die Menschen beim Ärztekongreß sind unterschiedlich. Sympathisch bleibt der Organisator Lindner, trotzdem seine Frau und Mordopfer eins eine innige Beziehung hatten. Tochter Andrea gerät zwischen die moralischen Fronten. Die beiden finnischen Ärzte mit ihren Frauen sind unterschiedlich - während das eine Paar innig miteinander verbunden ist, hat sich das andere entfremdet. Die Assistentin des einen finnischen Arztes wird als farbenfrohe und positive Frau geschildert. Eine extrem aufdringliche Fan-Teilnehmerin wird als laut, unangenehm aber letzendlich hilfreich dargestellt.

Ort der Handlung sind Salzburg, und am Mattsee. Die Orte in Salzburg sind gut wiedererkennbar.

Die Geschichte wird spannend erzählt, ohne zu grauslich zu sein. Die Unterschiedlichkeit der Menschen, und ihre verschiedenen Motive sind unterhaltend. Die Kaltherzigkeit des Mörders ist erschreckend. Mitraten des who-dunnit ist möglich.

Daß Burn-out in einem Kriminalroman als Hintergrundszenerie genommen wird, zeigt daß das Thema immer wichtiger sein dürfte. Auch daß Homoerotik für manche Menschen immer noch ein Problem ist, das es den Verliebten nicht leicht macht, ebenfalls.

In Summe ein sehr unterhaltsamer Salzburg-Krimi, der ideal für verregnete/verschneite Abende für Leseratten und als Geschenk ist.

Marie Anders wurde an einem 27. September in Kirchdorf a. Krems / Oberösterreich geboren. Sie hat viel im Ausland gelebt und spricht viele Sprachen. 2013 hat sie eine Agentur für Bürobedarf gegründet. 2017 erschien der erste Band mit Inspektor Neuner, der auch in Salzburg spielt.

Montag, 17. Dezember 2018

Heike Lange : "Cleo und der Kommissar"

Heike Lange :
"Cleo und der Kommissar" - Katzenthriller
2018, books on Demand
211 Seiten
ISBN 978-3-7412-2110-1

Die schwarzfellige Katze Cleo mit weißen Brustflecken und einem roten Hinterbein lebt einer hübschen Zweibeinerin. Diese wird wie einige andere Frauen der Umgebung grauslich ermordet und mit einer Tarot-Karte versehen. Nachdem Cleo aus dem Tierheim ausgebrochen ist, macht sie sich mit den Katzen und einem Hund der Umgebung auf die Suche nach dem Mörder, da sie den Geruch in der Nase hat. Wieder ist Kommissar Tom Steiner (aus Fall eins) mit dem Geschehen betraut, weshalb der Zweibeiner die richtigen Schlüsse zieht, und gemeinsam mit Cleo den Mörder zur Strecke bringt. Cleo zieht dann zu ihm.

Die Geschichte wird Großteils aus Sicht der Katze Cleo erzählt, in kursiv sind die Gedanken des Mörders gesetzt; es gibt auch Blickwinkel des Kommissars und seiner präsumptiven Nachfolgerin Paula.

Die Katzengang ist sehr unterschiedlich: Freundin Mia, ein grauer Tiger, wohnt in einem Kohlekeller auf und in Kartoffelsäcken. Rambo ist ein großer Kater mit zerfetztem Ohr und Geduld für kleine Hunde. Mitbewohner bei Rambo ist ein Wollknäul Bobby, ein hilfsbereiter kleiner freundlicher Hund. Dann gibt es noch die Kater Speedy und Flunky.

Ort der Handlung ist ein Viertel in einer Stadt. Hier gibt es einige Gärten in denen sich die Katzen wohlfühlen.

Mitraten ist in dem Krimi nicht möglich.
Die Geschichte wird spannend erzählt, und man kann mithoffen, daß der Mörder rechtzeitig erwischt wird. Es macht Spaß der aktiven Katze zu folgen. Viel Spaß beim Lesen !

Heike Lange wurde 1965 in Staßfurt / Sachsen-Anhalt geboren. Nach Studium der Betriebswirtschaft arbeitet sie in einer Bank. 2011 veröffentlichte sie Kurzgeschichten. 2013 erschien der erste Katzenthriller "Kater Brummel" mit Katze Cleo.

Samstag, 15. Dezember 2018

Heike Wendler : "Das Geheimnis der schwarzen Madonna"

Heike Wendler :
"Das Geheimnis der schwarzen Madonna" - Klosterkatze Lily ermittelt
/ 2 Klosterkrimis
2018, St. Benno Verlag Leipzig
* "Das Geheimnis der schwarzen Madonna" 63 Seiten
* "Schatten über Wiesenthal" 60 Seiten
ISBN 978-3-7462-5060-1

Die schöne gescheite schwarzhaarige Katze Lily ist im Benediktinerkloster in Wiesenthal in Thüringen als Klosterkatze im Gartenhäuschen zuhause. In der ersten Geschichte bekommt sie Verstärkung im Kloster als die Klosterladenleiterin mit einem Mops kommt. Der arme Hund wird von den Menschen Hugo, von Lily Drops-Mops genannt, und vom Frauerl mit Maschen in verschiedenen Größen und Farben ausgestattet
* Im "Das Geheimnis der schwarzen Madonna" kommen die beiden Tiere einem Mord, einer Madonna aus Holz statt aus schwarzem Opal und einem Betrug auf die Spur. Auch ein Gartenzwerg auf einer Schnecke ist für diese unterhaltsame Geschichte wichtig.
* Beim "Schatten über Wiesenthal" wird gezündelt, ein Detektiv wird vom Abt eingeschaltet, und eine Erpressung von Hund & Katz vereitelt.

Die Geschichten werden aus Sicht der Katze Lilly in Ich-Sicht erzählt. Sie ist die gescheite, clevere, die den Durchblick hat, Türen öffnet, Hintereingänge im Kloster weiß und dem Drops-Mops die Gepflogenheiten im Kloster, die Rituale der Menschen und Unzusammenhängendes erklärt.
Ihre Beobachtungen und Coolness ist sehr unterhaltend beschrieben.
Die kätzischen Bemerkungen über das Geschnaufe und die uneleganten Bewegungen des Mopses bringen zum Lachen.

Bei den Menschen ist der Abt ruhig und besonnen, Bruder Martin freundlich, Bruder Andreas musikalisch schwebend geschildert. Hugos Frauchen ist liebevoll, und versorgt den Hund mit allen Leckerlis.

In Summe ein liebevolles, unterhaltsames Buch, ideal für Fans von (schwarzen) gescheiten Katzen in gemütlichem Krimi.

Sonntag, 2. Dezember 2018

Rudyard Kipling : "Die Katze geht ihre Wege"

Rudyard Kipling :
"Die Katze geht ihre Wege"
Illustrationen Heiri Steiner
original "the cat that walked by himself"
das erste Mal veröffentlicht Ladies’ Home Journal, Juli 1902
Übersetzung von Hans Rothe bei Paul List Verlag, München
1984, Matthes & Seitz Verlag München
84 Seiten
ISBN 978-3-88221-334-5

In dieser kurzen Geschichte wird erzählt daß eine Katze immer ihre Unabhängigkeit bewahrt während Hund, Pferd und Kuh sich vom Menschen einspannen lassen. Drahtzieherin ist die Frau des Mannes, die die Arbeit der Tiere für den Menschen nutzt. Nur die Katze hilft das schreiene Baby zu beruhigen, weshalb sie bei der Frau eine Sonderstellung erwirbt. Leider sind Mann und Hund anderer Ansicht und das urtypisch feindliche Verhalten der beiden einer Katze gegenüber ist festgelegt. Wie auch immer - die Katze behält ihre Unabhängigkeit.

Zwischen den Zeilen sind die Menschen, die Tiere und etwas Landschaft gezeichnet.
Die Katze hat ist in schönem Orange gemalt, die Menschen orange-rosa, die anderen Tiere sind grau und braun gehalten.

Die Geschichte ist liebevoll. Sie tut Menschen und Katzenfans gut. Viel Freude beim Lesen und Betrachten der Zeichnungen.

Joseph Rudyard Kipling wurde am 30 Dezember 1965 in Bombay geboren und star  am 18. Jäönner 1936 in London. Er war Schriftsteller und Dichter, und ist vor allem für das Kinderbuch "Dschungelbuch" und für erwachsene für "Kim" berühmt. 1907 erhielt er als erster englischsprachiger Schriftsteller den Literaturnobelpreis.
Diese Illustration war die letzte Arbeit von Heiri Steiner. Er wurde am 11. Oktober 1906 geboren und starb am 7. Mai 1983. Er studierte Graphik in Zürich und hatte ein eigenes Atelier in Zürich, bevor er sich Richtung Photographie weiterbildete. Teilnahmen bei Weltausstellung in Paris 1937 und Arbeiten für die Unesco machten ihn bekannt.       

Freitag, 30. November 2018

René Goscinny & Albert Uderzo : "Kööch uman Asterix" - Asterix redt Wienerisch 4

"Kööch uman Asterix"
Gschichtl : René Goscinny
Büdln : Albert Uderzo
original "La Zazanie " / "Streit um Asterix" (15. Band)
1970/2018
aus dem Französischen übersetzt von Gudrun Penndorf M.A.
Iwadrogn von Ernst Molden
2018, Egmont Berlin
44 Seiten
ISBN 978-3-7704-4014-6

Der 'Streit um Asterix' hat es ins Wienerische geschafft. Liebevoll hat Ernst Molden bei der vierten Geschichte um das gallische "Deafö"/Uatschaft" - diesmal um den intriganten Destructivus - die Dialoge ins Wienerische übertragen.

Bei einigen Übersetzungen mußte ich lauthals lachen : cave canem mit "hier wacht der Waldi" zu Lesen macht Spaß, auch so manche andere wienerische Formulierung.

Viel Spaß und Auflachen beim Lesen !

Bio von René Goscinny bei "Lucky Luke, Bd.53, Die Erbschaft von Rantanplan".
Albert Alessandro Uderzo wurde am 25. April 1927 bei Reims (F) geboren. Er zeichnete bereits als Kleinkind. Ab 1948 erschien der erste Comic gemeinsam mit Jean-Michel charlier.  Ab 1951 arbeitete er mit René Goscinny zusammen.
Ernst Molden wurde 1967 in Wien geboren. Er ist Liedermacher und Schriftsteller.

Mittwoch, 28. November 2018

Christine Anlauf : "Schnurr mir das Lied vom Tod"

Christine Anlauf :
"Schnurr mir das Lied vom Tod" - Kater Serrano ermittelt
2014, Piper Verlag
386 Seiten + 1 Seite Dank + 3 Seiten menschliches und kätzisches Personenregister
ISBN 978-3-492-30243-2

In dem Kriminalroman wird eine Leiche in einem Schneemann versteckt gefunden. Da Kommissar Liebermann nach Ansicht der Katzen wichtige Hinweise übersieht, machen sich Kater Serrano, ein zerzauster Streuner, eine rundliche weise Katze und eine dünne Zuchtkatze daran den Menschen mit Hinweisen zu helfen. Auf zwei Ebenen spielt sich das Geschehen ab. Liebermann und sein Team forschen parallel nach dem Mörder des Obdachlosen und einem Mann der Frauen attackiert und mordet. Die Katzentruppe gibt wichtige Hinweise, weil der Geist des Obdachlosen den einen Kater heimzusuchen scheint, und findet noch eine Leiche. Das Lösung ist dann ziemlich einfach, obwohl es kurz brutal wird.

Ort der Handlung ist Potsdam mit seinen Parks, Vierteln, dem Fluß. Die Geschichte spielt im Winter.

In einem Strang folgen die Polizisten dem Leben des Obdachlosen als Kind in ein trostloses und strenges Kinderheim der DDR. Die Traurigkeit, die Einsamkeit, daß ihm die Schwester weggenommen wurde, und dann noch Mißbrauch an dem Opfer setzen dem Kommissar zu. Dieser Mißbrauch ist gedeckt worden, auch wenn so manche Frau hier versuchte das Kind schützend einzugreifen.
Der andere Strang ist die Verfolgung eines netten Mannes, der bei einem Date plötzlich grundlos auszuckt und die betreffende Frau tötet.

Parallele Familiengeschichten gibt es zu Hauf. Liebermann, der mit seiner Liebe Nico (eine bezaubernde Frau) das erste Kind erwartet, bei der die Schwangerschaft aber nicht einfach ist, und er es daher mit den Töchtern seiner Liebe und einem einmischenden Nachbar zu tun hat.
Kater Streuner, Katze Maja, Kater Serrano, Katze Wu haben auch einiges zu klären, vorallem wer bei dem übernachten und flirten darf, was nicht immer das Gleiche ist. Über den Katzen gibt es den Geist des ehemaligen Katers Bismarck der irgendwie mitmischen darf, und nur verwirrt.

Die Menschencrew ist ziemlich gemischt. Henrick Liebermann der ein durchaus guter Kommissar und Vorgesetzter sein dürfte, Jean-Pierre Simon der unglücklich verliebt ist aber dieses mit Arbeit zu übertauchen sucht, Jana Holzmann die anpackt, und die enttäuschte und bissige Pathologin Franziska Genrich die alle in die Flucht knurrt.
Tischler Enno Abrahams, dessen Freundin Sonja, dessen schmarotzenden Bruder Jakob, eine polnische abgelegte Freundin des Bruders, der stumme Obdachlose Roman Stölzl, seine Schwester Nora komplettieren das unterschiedliche Menschen Angebot.
Bei den Katzen hat es mir die weise, ortskundige, rundliche Maja mit ihrem Handschuh-sammel-Tick durchaus angetan; sie schaut auf ihr Revier und macht es Katern schwer. Der Streuer ist zerzaust, und wird vom Geist des Menschen geplagt. Kater Serrano ist in die dünne Zuchtkatze Wu verknallt, und versucht es taktisch; leider kommt dieser titelgebende Kater nicht wirklich symphathisch bei mir an. Katze Wu durchschaut viel, und wenn es ihr reicht tut sie es kund. Im Hause Liebermann gibt es Kater Dienstag, den der Zweibeiner bei zuviel nerven entweder auf die Straße setzt oder ins Badezimmer verfrachtet.

Auf dem Cover ist der Roman als schwebend leicht beworben. Leider kann ich das nicht nachvollziehen. Im Gegenteil : es war für mich als Leseratte überraschend schwer in den Stil und die Geschichte hineinzukommen. Zu viele Ebenen und Charaktere dürften hier verwoben sein, und/oder die Geschichte zu konstruiert sein, um wirklich zu fließen.

Schade,  denn manche Metaphern haben mir sehr gefallen z.B. wie ein müder Mauersegler oder übergewichtiger Kondor im Sessel zu hängen, Plapperemmissionen freisetzen etc.

Christine Anlauf wurde 1971 in Potsdam geboren. Sie ist gelernte Buchhändlerin und veröffentlichte ihren ersten Roman 2005. Der erste Teil der Serie um Kater Serrano und Kommissar Liebermann „Katzengold“ erschien 2010.

Donnerstag, 22. November 2018

Burkhard Rüth : "Schatten über Bozen"

Burkhard Rüth :
"Schatten über Bozen"
Kriminalroman
2015, emons Verlag
404 Seiten
ISBN 978-3-95451-577-6

Dieser Krimi ist der vierte Band um Kommissario Vincenzo Bellini. Während er und seine Leute den ausgebrochenen Verbrecher Klaus Mantinger suchen, der die Beziehung zwischen Vincenzo und seiner Freundin Giulia aus Mailand zum Zerbrechen gebracht hatte, werden zwei ziemlich bestialisch hergerichtete Frauenleichen gefunden. Ein Journalist gräbt die Geschichte des Guido Zingerle aus, der in den 50-er Jahren Frauen im Wald und den Bergen bestialisch ermordete, und initiiert damit Panik unter der Bevölkerung, die zu zusammenrotten gegen einen geistig Zurückgebliebenen mündet. Da die ermordeten Frauen als Krankenschwestern gearbeitet hatte, werden im Krankenhaus die Chirurgen Brunner und von Adelsburg, die tiefe Feindschaft verbindet, vernommen. Eine dritte Krankenschwester verschwindet. Die Lösung für die Morde ist ziemlich überraschend.

Die Menschen sind durchaus eindrucksvoll geschildert. Vincenco Bellini als attraktiver Kommissario, der lernt zu kämpfen (leider nicht um seine langjährige Freundin); die starke Pathologin die sich in Arbeit vergräbt, und zwei verläßliche Mitarbeiter die Mandelgebäck lieben. An Menschen im Roman sind die Familie von Adelsburg die zwar adelig aber nicht hochnäsig ist, und medizinische Herz-Produkte vertreibt; deren liebenswürdiger höflicher attraktiver Schwiegersohn Florian, der ein genialer Herz-Chirurg ist, sich anscheinend gut an das Adelsbenehmen anpaßt, aber daran innerlich zerbricht - hier kann ihm nicht die intensive Liebe zwischen ihm und seiner Frau helfen; dessen Mentor und Chef Brunner den die Einsamkeit auffrißt; drei Krankenschwestern mit unterschiedlichem Aussehen und Temperament und eine attraktive aber anlassige Ärztin beschrieben; drei Schwestern aus dem Spital die charakterlich unterschiedlich sind; natürlich auch der ausgebrochene Klaus Mantinger der die Polizei narrt, und exzellent in den Bergen unterwegs ist.

Die teilweise mit Haß geführten Gespräche der beiden Ärzte scheinen mir aus dem Leben gegriffen zu sein, so greifbar war die gegenseitige Verachtung und Wunsch dem anderen etwas zu Fleiß zu machen. Hier kriegen es leider die Patienten ab, was gruselig ist. Der medizinische Hintergrund ist großteils gut nachvollziehbar beschrieben. Allerdings ist die Szenerie rund um den illegalen Zugang zu Organen zwecks Transplantation Alptraum erzeugend.

Im Hintergrund wird die Einsamkeit von zwei adoptierten Kindern aufgerollt. Das eine Kind hat direkt mit Zingerle zu tun, das andere gerät in dessen Alptraum - beide sind ausgegrenzt, wobei wenigstens einer eine liebevolle Familie gefunden hat.

Die Geschichte wird etwas sprunghaft geschrieben. Sie beginnt mit Kapiteln in den 40-er Jahren, später dann einem einsamen aber ehrgeizigen Knaben, und teilt sich auch später auf die unterschiedlichen Romangestalten wie den Commissar, seine Freundin giulia, Herrn von Adelsburg, den Arzt Florian von Adelsburg, einige Schwestern im Spital, und auch den klettergewandten Ausbrecher Mantinger auf.

Beängstigend ist beschrieben wie sich Menschen diesmal mit Hilfe der sozialen Netzwerke einseitig informieren, und gemeinsam eine Angst schüren die zum Angriff und Körperverletzung auf Unschuldige führt.

Ort der Handlung sind die Orte und Berge um Bozen.

Der Roman ist gut lesbar, es macht Spaß und ist spannend den Figuren und ihren  Gedanken und Handlungen zu folgen. Das Ende ist etwas kurz geraten, hier hätte ich gerne mehr gelesen. In Summe aber ein empfehlenswerter Kriminalroman im Medizinerbereich. Viel Spaß beim Lesen !

Burkhard Rüth wurde 1965 in Westfahlen geboren und ist hauptberuflich Unternehmensberater. 2011 erschien sein erster Krimi mit Kommissario Vincenzo Bellini "Das Monster von Bozen".

Montag, 12. November 2018

Julie Masson : "Madame Bertin steht früh auf"

Julie Masson :
"Madame Bertin steht früh auf" - ein Paris Krimi
2018, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg
297 Seiten
ISBN 978-3-499-27474-8

Madame Bertin, die seit Jahrzehnten das Baguette für den französischen Präsidenten nach altem Rezept macht, beobachtet im Nachbarhaus etwas was wie Mord aussieht. Zuerst ist der attraktive Commissar der eleganten älteren Dame gegenüber skeptisch, bis er doch eine tote Frau findet. Nachdem nach Madames Ansicht der Commissar nicht rasch genug arbeitet, macht sie sich mit Hilfe eines alten Verehrers selbst auf die Suche und verhindert nebenbei daß ihrem Neffen, dem sie ihre Bäckereikette bereits überschrieben hat, bei einem Überfall Schlimmeres passiert. Als sie und der Commissar doch zusammenarbeiten, entdecken sie daß auch wichtige Männer in eigenartige Machenschaften verstrickt sind.

Der Kriminalroman ist sehr unterhaltsam, wobei Madame Bertin sowohl als backende Frau als auch als bestens angezogene, sehr attraktive Frau mit Unerschrockenheit und Humor punktet. Wie sie Männer nach ihrem Willen tanzen läßt, liest sich vergnüglich.
Ihr Neffe ist ein fader Typ, die Schwiegertochter eine charmante anpackende Person, der Commissar ein gutaussehender Mann im Alter der Schwiegertochter, die Typen in der Küche des Präsidenten ein charakterliches Sammelsurium, und der alte Verehrer der eine Apothekenbesitzerin geheiratet hat ein tapferer älterer Herr.

Im Hintergrund werden Seilschaften geschildert, die sich durch die Polizei, durch die Präsidentschaftskanzlei ziehen; leicht gruselig wenn Politik so funktioniert.

Der Roman spielt in Paris. In der Präsidentschaftskanzlei ist ein neuer junger Präsident eingezogen, der eine attraktive Frau hat, die die Medien lieben. Hier im Buch ist sie ambivalent geschildert.

Der Roman hat Spaß gemacht zu lesen und ist ideal für einen verregneten Sonntag zu Unterhaltung geeignet. Viel Spaß beim Lesen !

Biographie der Autorin beim ersten Band mit Lucien Lefevre und dem Pastis am 4. April 2014

Mittwoch, 7. November 2018

Paula Hawkins : "The Girl in the train"

Paula Hawkins :
"The Girl in the train" - "Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich"
Roman
original "The Girl in the train"
2015, Doubleday London
Deutsch von Christoph Göhler
2015, Blanvalet München
438 Seiten
ISBN 978-3-7645-0522-6

Rachel, die durch Alkohol ihre Ehe und den Job verloren hat, behält ihre Zugfahrroutine und beobachtet wiederholt voll Freunde ein attraktives Ehepaar vor seinem Haus - aus dem Zug heraus. Als die Frau dieses Ehepaares Megan vermißt wird, und später ihre Leiche gefunden wird, kommt Rachel der Polizei in die Quere da einige Häuser weiter ihr Exmann Tom mit seiner neuen Frau Anna und Kind lebt und sie diese im Suff wiederholt belästet hat. Rachel versucht mit dem Ehemann des opfers Scott als auch mit deren Psychotherapeuten Kamal näher zu kommen, was sie bei der Polizei noch verdächtiger macht. Als Rachel erkennt, was sie im Suff vergessen hat und was hier wirklich läuft, kommt es zum spannenden Show Down.

Das Buch ist aus drei Blickwinkeln aus beschrieben - von Rachel, Megan und Anna. Keiner der drei Männer hat hier eine eigene Stimme. Alle schreiben aus ihrer Sicht zeitlich chronologisch, aber die Kapitel starten zu unterschiedlichen Zeitpunkten : Rachel beim Beobachten der Häuser, Megan schon ein Jahr zuvor und Anna wird erst später dazu eingestreut.

Ziemlich lange zieht sich das Buch, vor allem wenn man Rachels Alkoholsucht folgt. Dann beginnt sich die Geschichte zu drehen, und die Charaktäre der Männer wird deutlicher. Spannend ist es dem einem Mann beim Verfall zuzusehen, dem anderen der sein innere Ruhe versucht zu leben und der dritte der ein genialer Lügner ist der versucht seine Lügen aufrecht zu halten.
Eigenartig ist der rothaarige Mann den Rachel immer wieder trifft, der dann wieder in die Unwichtigkeit versinkt.

Die Personen werden alle als attraktiv geschildert, mit Ausnahme daß man Rachel die Alkoholsucht ansieht. Auch die Männer sind gutaussehend und auf unterschiedliche Art charmant.

Der Ort der Handlung ist ein Vorort an der Eisenbahn. Rachel erzählt hier von der Einsamkeit im Zug, von den Menschen im Zug, von der Verachtung die sie spürt wenn sie früh morgens im Zug zu trinken anfängt. Die Orte der Handlung sind entweder Vorstadthäuser die alle den gleichen Aufbau haben, oder das Zimmerchen, das ihr eine Bekannte als Zuflucht nach der Scheidung zur Verfügung stellt.

Der Thriller ist in angenehm großen Buchstaben gedruckt.

In Summe ein gut geschriebenes Buch das in den Bann zieht. Viel Spaß beim Lesen !

Paula Hawkins wurde am 26. August 1972 in Salisbury / Britisch-Rhodesien geboren. Sie arbeitete lange als Journalistin, bis sie 2009 mit ihrem ersten Buch mit "Confessions of a Reluctant Recessionista" veröffentlicht wurde.

Sonntag, 28. Oktober 2018

Marlene Streeruwitz : "Nachkommen"

Marlene Streeruwitz :
"Nachkommen"
Roman
2014, S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt
328 Seiten
ISBN 978-3-10-074445-6

Die junge große gutaussehende Nelia Fehn hat ein Buch geschrieben. Am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse wird in Großvater in Österreich begraben, bevor sie nach Frankfurt abfliegt. Bei der Buchmesse gewinnt sie den begehrten Buchpreis leider nicht - sie hätte das Geld für die Operation ihres griechischen Freundes gebraucht. Sie lernt ihren biologischen Vater kennen, wird am Verlagsmarkt präsentiert, absolviert zwei Interviews und merkt wie wenig sie in das Bücherbusiness hineinpaßt. Erschwerend kommt dazu, daß ihre Mutter mit dem Literaturbetrieb gut umgehen konnte, und etabliert war; sie wird immer mit ihrer Mutter, die gestorben war als Nelia 16 war, verglichen.

Der Roman ist aus Sicht der jungen Frau / der Autorin geschildert. Ihre Handlungen und Gedanken und Eindrücke werden beschrieben. Bei ihren Gedanken handelt es sich oft um nicht um ganze Gedankengänge, sondern oft um Gedankenfetzten, einzelne Worte, Assoziationen. Manches dreht sich im Kreis und droht sich tot zu laufen, manche Gedankenstränge machen sich quasi selbstständig und es entstehen teilweise skurrile Ideen und Wortschöpfungen.
Es geht unter die Haut wenn sie beschreibt, daß sie als spät gekommenes Kind ihrer Mutter von fast allen ihrer Familie abgelehnt wurde. Nur eine Freundin und deren Freund in Griechenland schaffen es nach der Mutter Tod eine Art Heimat zu geben. Nur der Großvater war für sie eine positive Gestalt innerhalb der Familie, der sie in ihrer offenbar Andersheit akzeptiert hat. (Das anders sein waren die illegitime Geburt und daß sie ihrem Vater ähnlich sieht).

Das Thema Banken und Griechenland wird durch die Bankenhochbauten in Frankfurt – es werden keine Menschen geschildert – und ihren Freund Marios an dessen Existenz die Bankenentscheidungen gehen geschildert.

Skurril lesen sich Beobachtungen wie über den elektronischen Kartenschlitz im Hotel für eine Nacht, die senffarbene Wand in der Hotelabsteige für die Folgenächte, die vielen schwarzen Suvs und das Fehlen roter Autos auf den Straßen.
Die Beschreibungen der Buchmesse von Autorenseite war faszinierend : das Warten auf den Preisverleih, die Machtspiele der Autoren/innen untereinander, wie sich Verlagsvertreter untereinander benehmen, das unterschiedliche Benehmen von Literaturjournalisten/innen. Dazu werden Generationenkonflikt und Genderthematik gemischt, daß es teilweise beim Lesen weh tat.
Liebe ist leider fern. Denn zwischen ihrem Vater aus dem Bildungsbürgertum Frankfurts und ihr, die ihn erst spät und jetzt kennen lernt, sind keine Brücken möglich. Seine aktuelle Freundin ist so junge, wie sie - seine Tochter. Liebe sind nur in den sms-s mit Marios in Griechenland spürbar.
Spannend ist das Ringen der fiktiven Autorin um Qualitätsbegriffe im Buchbetrieb, wenn sie ihr Buch nicht nur Buch, sondern Roman genannt haben möchte. Und daß sie bewußtes Definieren von Literatur und Belletristik wünscht.
Den zerfransten Schreibstil muß man mögen. Mich hat er in den Bann gezogen. Viel Freude beim Lesen !
Marlene Streeruwitz wurde 28. Juni 1950 in Baden (Niederösterreich) geboren. Sie studierte Slawistik und Kunstgeschichte in Wien. 1992 wurde ihr erstes theaterstück aufgeführt. Ihr erster Roman "Verführungen. 3. Folge. Frauenjahre" erschien 1996. Mittlerweile ist sie vielfach ausgezeichnet.

Montag, 22. Oktober 2018

Sonja Birgmann : "Punschkrapfen, Kipferl und ein Mord"

Sonja Birgmann :
"Punschkrapfen, Kipferl und ein Mord"
2017, Emons Verlag
184 Seiten
ISBN 978-3-7408-0042-0

In diesem fröhlichen und "süßen" Kriminalroman wird die muntere Bäckerin Emma in einen Mord an einem Fernsehmoderator verwickelt. Das Fernsehteam, da ihre erotischen Bäckereien für eine Bäckerei-Serie filmt, ist für den Mord genauso verdächtig wie sie. Rundherum gibt es böse Beobachtungen über die Journaille und Paparazzi. Emmas Bruder Hendrik bei der Polizei und dessen Chef Detlev sind engagiert beim Ermitteln; ihre beste Freundin Melanie aus Wien und die Nachbarn mit verteidigungsbereitem Hund helfen die Sache durchzustehen bis endlich die mittlerweile zwei Morde gelöst sind.

Die Rezepte sind bei diesem Buch nicht abgedruckt, aber die Vorbereitungen machen Spaß zu Lesen und können durchaus knurrenden Magen auslösen.
Witzig sind die nicht immer jugendfreien Beschreibungen der Backwaren. Das Szenario macht zu Lesen Vergnügen.

Die Menschen sind lebhaft und gut vorstellbar geschildert. Emma mit roten Locken und Temperament, ihr nordisch wirkender Bruder der kühler wirkt es aber im Job als Polizist nicht ist, das Sammelsurium an aalglatten bis normal freundlichen Menschen im Fernsehteam, und auch die verschiedenen Typen im Kommissariat sind variantenreich geschildert.

Ort der Handlung ist eine Bäckerei bei/um Linz in einer nicht so eleganten Gegend, dafür aber guten Freunden. Sonst ist wenig Lokalkolorit gemacht und auch nicht notwendig.
Zum Schmunzeln bringt eine Party im Lentos - bitte selber lesen :-).

In Summe ein herrlich unterhaltsamer Kriminalroman. Als Geschenk würde ich allerdings Punschkrapferln dazu verpacken. Viel Spaß !

Sonja Birgmann wurde an einem 14. Februar im Mühlviertel (Oberösterreich) geboren. Sie studierte in Wien Theater-Film-Medienwissenschaften. Der erste Kriminalroman dürfte 2011 erschienen sein. 

Dienstag, 16. Oktober 2018

Longlist 2018 / Shortlist Debüt 2018

Longlist 2018 / Shortlist Debüt 2018
2018, Österreichischer Buchpreis
1 Seite Vorwort + 2 Seiten Inhaltsverzeichnis + 106 Seiten Gedichte/Textausschnitte/ je 1 Seite mit Cover des Buches + 2 Seiten Jury

Mareike Fallwickl: dunkelgrün fast schwarz (Frankfurter Verlagsanstalt)
 - Romanausschnitt : ein junger werdender Vater spricht mit dem Kind im Bauch seiner Freundin, bis sein bester Freund auftaucht; eine Mutter beschreibt wie die drei Kinder das neue Haus erkunden
Milena Michiko Flasar: Herr Kato spielt Familie (Verlag Klaus Wagenbach)
 - Romanausschnitt : ein Mann ist in Pension gegangen und kann sich nicht an das langsamere Tempo gewöhnen
Arno Geiger: Unter der Drachenwand (Carl Hanser Verlag)
 - Romanausschnitt : Verwundung im Krieg
Gerhard Jäger: Die Nacht über uns (Picus Verlag)
 - Romanausschnitt : nochmals Soldatsein im Krieg, aber eine eigenartige Rückkehr in die Ruhe
Hanno Millesi: Die vier Weltteile (Edition Atelier)
 - Romanausschnitt : drei Kinder bewegen sich durch Räume. sehr lange Sätze.
Margit Schreiner: Kein Platz mehr (Schöffling & Co)
 - Romanausschnitt über vollkommen angeräumte Häuser und Wohnungen; stilistisch schön
Robert Seethaler: Das Feld (Hanser Berlin)
 - Romanausschnitt : Navid der einen Obst- und Gemüseladen hat in einer europäischen Stadt hat und dort durchaus bekannt ist, besucht seine alte Heimat und fühlt sich fremd (leider steht im Text 'wiegte die Aprikosen' statt österreichische 'wog die Marillen')
Heinrich Steinfest: Die Büglerin (Piper Verlag)
 - Romanausschnitt : die Büglerin sind die Arbeit und das niedrige Gehalt dafür als Karma - wofür ?
Josef Winkler: Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Ton ins Herz mir schreibe (Suhrkamp)
 - Romanausschnitt : wieder Kriegsgeschichten denn die Alten erzählen den Jungen wie sie miteinander zu sich und anderen böse Streiche gespielt haben, und alles auf einem Grab.
Daniel Wisser : Königin der Berge (Jung und Jung)
 - Ein Multiple Sklerose Erkrankter möchte im Krankenhaus etwas vom Leben und Genießen haben, was ihm manche dort durchgehen lassen und andere nicht. köstliche Beobachtungen über das Leben im Krankenhaus.

Die Titel der Shortlist Debüt:
Ljuba Arnautovic: Im Verborgenen (Picus Verlag)
- Romanausschnitt : beginnt in Wien 1944 mit Schilderungen der Donau und eines Büros mit Kirchensteuer; die wichtige Sekretärin sorgt sich um jemanden. dichte Atmosphäre.
David Fuchs: Bevor wir verschwinden (Luchterhand Literaturverlag)
 - Romanausschnitt : Tierversuche an einem Schwein und Menschen auf einer onkologischen Station wird wenig einfühlsam, fast flappsig beschrieben.
Marie Gamillscheg: alles was glänzt (HaymonVerlag)
 - Romanausschnitt : Beobachtungenfetzen bei denen ich ausgestiegen bin

Mich hat der Ausschnitt von von Heinrich Steinfest und der Debütantin Ljuba Arnautovic am meisten angesprochen. Ich bin neugierig welches Bücher der Gewinner der Shortlist wird.


Mareike Fallwickl (Mareike Fallwickl-Glavnik): * 1983 in Hallein
Milena Michiko Flasar: * 1980 in St. Pölten
Arno Geiger: * 1968 in Bregenz
Gerhard Jäger: * 1966 in Bregenz
Hanno Millesi: * 1966 in Wien
Margit Schreiner: * 1953 in Linz
Robert Seethaler: * 1966 in Wien
Heinrich Steinfest: * 1961 in Albury (Australien)
Josef Winkler: * 1953 in Kamering (Kärnten)
Daniel Wisser: * 1971 in Klagenfurt
Ljuba Arnautovic: * 1954 in Kursk (Sowjetunion)
David Fuchs: * 1981 in Linz
Marie Gamillscheg: * 1992 in Graz

Freitag, 12. Oktober 2018

Lisa Lercher : "Jenseits auf Rezept"

Lisa Lercher :
"Jenseits auf Rezept"
Kriminalroman
2018, Haymon Verlag
266 Seiten + 2 Seiten Glossar (nieder/österreichische Ausdrücke)
ISBN 978-3-7099-7898-6

Polizist Paul Eigner ist froh wieder in einer (fiktiven) Gemeinde in der schönen Wachau zu arbeiten. Kaum Verbrechen, und nur Einbruchsschulung sind der Ausblick. Diesmal stört die Leiche einer schönen Physiotherapeutin und eine übersinnlich begabte Tochter einer älteren zu Tode gekommenen Frau die Ruhe. Recherchen bei Arztpraxis und Physiobereich bringen einigen Verdächtige. Letztendlich gibt es einen überraschenden Mörder mit sehr klassischem Motiv.
Nebenbei emanzipiert sich seine Schwester von dem seitenhüpfenden Ehemann, und es beginnt sich zarte Liebe bei ihm selbst anzubahnen.

Der Roman ist sehr gut lesbar.
Die dargestellten Personen sind gut vorstellbar : Paul Eigner selbst mit Glatze und gutmütig, seine Schwester die die Marillenernte organisiert tough, der schmierige anlassige Schwager, seine freundliche Tochter und Enkelsohn, der engagierte attraktive junge Arzt, seine bissige als Dame auftretende Mutter, das Physiotherapeutenteam, Polizistinnen mit denen Eigner zusammenarbeitet und einem Fast-Chef mit dem es nur Probleme gibt.

Wer Fußball mag, findet zwei Seiten mit Spielbeschreibungen. Wen es in die Pathologie zieht, der findet auch seine Details.
Der Hintergrund von Abrechnungen an die Krankenkassen und daß es Möglichkeiten zum Mogeln gibt, war interessant zu Lesen.
Die Umgebung der Wachau rund um den fiktiven Ort ist real, und für Wachau-Liebhaber zum Grinsen.

Am Cover ist der Schatten einer Katze; diese Entscheidung des Verlags kann ich nicht nachvollziehen, da in dem Krimi keine Katze relevant ist.

In Summe in sehr nett lesbarer Roman, der gut unterhält und von Wetter, Arbeitssorgen gut abzulenken versteht. Viel Spaß beim Lesen !

Lisa Lercher wurde am 13. Februar 1965 in Hartberg geboren. sie studierte Erziehungswissenschaften und arbeitet dann in Organisationen gegen Gewalt. Zuerst veröffentlichte Sie Sachbücher gegen Gewalt, später entstanden daraus ihre ersten Krimikurzgeschichten und -romane. Ihr bekanntestes Buch "die Mutprobe" entstand 2006 und wurde 2009 mit exzellenten Schauspielern verfilmt.

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Michael Böckler : "Falscher Tropfen"

Michael Böckler :
"Falscher Tropfen" - ein Wein-Krimi aus Südtirol
2018, Rowohl Taschenbuch Verlag
389 Seiten + Anhang 26 Seiten Weine + 22 Seiten Essen und Trinken
ISBN 978-3-499-27349-0

Baron Emilio von Ritzfeld-Hechenstein darf wieder ermitteln. Diesmal beauftragt ihn eine trauende Witwe dem Rätsel um eine Flasche Rotwein zu folgen. Während er den Spuren zu einem Weinfälscher, einem Etikettenfälscher und einem chinesischen Konzern folgt, und eine sehr sehr attraktive Photographin kennenlernt, kommt auch heraus, daß der Verstorbene keinem Unfall zum Opfer fiel und ein zweiter Toter wird gefunden.
Als Nebenstrang ist seine schöne und fröhliche Lebensgefährtin und Weinhauerin Phina mit Flüchtlingskindern beschäftigt.

Wie gewohnt fährt Emilio in seinem alten Land Rover durch die Gegend, genießt Speis' und Trank, philosophiert darüber, und bewahrt sich sein Mißtrauen Menschen gegenüber.

Die Weinfälscherszene in der eigentlich teure Weine mit guten Weinen und Aromen schlecht nachgemacht werden, macht mir wenig Freude, denn dazu genieße ich Wein zu sehr.

Die Menschen inklusive dem etwas überkandidelt gekleideten Emilio und Menschen wie die Witwe Martina, deren Bruder dem Koch Sepp, die Photographin Tilda, Emilios Freundin Phina, Linus sowie Gianlucca sind farbenreich geschildert und gut vorstellbar.
Emilio ist hier im Eisacktal sowie zwischen Eppan und Bozen viel unterwegs. Wenn man die Gegend kennt, ist es schön gedanklich mitzufahren.

Die Geschichte ist schön erzählt und liest sich gut. Ein wunderbarer Kriminalroman für schlechtes Wetter, oder die Urlaubszeit. Viel Sapß beim Lesen !

Lebenslauf 15. Oktober 2015 bei "Mord in bester Lage - Ein Weinkrimi aus Südtirol"

Freitag, 5. Oktober 2018

Andréa del Fuego : "Geschwister des Wassers"

Andréa del Fuego :
"Geschwister des Wassers"
Roman
original "Os Malaquias"
2010,  Língua Geral, Rio de Janeiro
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Marianne Gareis
2013, Carl Hanser Verlag München
198 Seiten
ISBN 978-3-446-24331-6

Die Malaquias ist eine Familie, bei der die Eltern durch einen Blitz in der Serra Morena sterben, und die drei Kinder aufgeteilt werden. Nico arbeitet am Bauernhof, verliebt sich in Maria und sie bekommen Zwillinge Anesia und Onofre. Antonio ist mit Julia im Kloster. Während Julia bei einer Dame leben darf, entwickelt sich Antonio zum Zwerg. Antonio schließt sich bei Nicos Hochzeit den beiden an. Julia möchte kommen aber es kommt immer etwas dazwischen. Julia bekommt sogar ein Baby, einen Zwerg. Am Ende sind alle am gleichen Schiff; Zufälle verhinden daß Julia wieder Familienanschluß bekommt.
Parallell wird die Geschichte des Grundgrundbesitzers Geraldo, des Geistes Geraldina, des eigenartigen Eneido erzählt, und wie das Wasser das ins Tal gespült wird, vieles inklusive das Dorf vernichtet.

Die Kapitel sind kurz. Sie sind entweder Nico später gemeinsam mit Antonio gewidmet, Julia, oder anderen Handlungssträngen. Selten aber doch verschlängeln sich die Handlungsstränge.

Die Menschentypen sind teilweise bodenständig, teilweise skurril, manche arbeiten, manche tun nichts.
Mich hat am meisten Geraldina fasziniert, die nur kurz Mensch ist, aber meist als Wasser, Schweiß oder sonst in einem wässrig-luftigen Aggregatzustand vorhanden ist.

Die Örtlichkeiten sind einerseits eine Stadt, andererseits einige Fazendas. Das Tal wird zwar mit Wasser überflutet um Strom herstellen, aber sowohl Wasser als auch Strom nehmen ab.

Der Roman ist dicht geschrieben. Die Szenerien laufen vor dem geistigen Auge ab.

Die skurillen Gespräche, Gedanken und Handlungsweisen faszinieren.

Viel Freude beim Lesen dieses Romans.

Andréa del Fuego wurde 1975 in Sao Paulo als Andréa Fátima dos Santos geboren. Sie  studierte Philosophie und ist Schriftstellerin, Journalistin und Bloggerin.

Samstag, 29. September 2018

Goncalo M. Taveres : "Joseph Walsers Maschine"

Goncalo M. Taveres :
"Joseph Walsers Maschine"
Roman
original "A máquina de Joseph Walser"
2004, Editorial Caminho, SA
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis
2014, Deutsche Verlags Anstalt München
164 Seiten
ISBN 978-3-421-04627-7

Joseph Walser arbeitet in einer Fabrik an einer Maschine. Diktatur oder Krieg baut sich rings um ihn auf. Seine Frau betrügt ihn mit Klober, dem intellektuellen Vorarbeiter. Walser verliert einen Finger beim Hantieren mit der Maschine und wird einer anderen Arbeit zugeteilt. Walser hat eine Affaire mit der Witwe eines guten Freundes, den er verraten hatte. Nach dem Krieg lädt ihn Klober in eine Falle ein. Das Ende bleibt offen.

Das Buch ist in drei Teil aufgeteilt, die wiederum meist kurze Kapitel umfassen.
Der Schreibstil ist konzentriert und sachlich. Empathie kommt wenig auf - nur wenn Walser sich seiner Metallstücke-sammlung widmet ist etwas wie emotionale Bindung und Leidenschaft zu merken. Eine Art Emotionalität ist beschrieben, wenn Walser fast im gleichen Tempo zu atmen und sich bewegen scheint wie die Maschine.

Die Quasi-Monologe die Klober über Werte, Individualität contra Allgemeinheit, Verhalten mit und ohne abgeschnittenem Finger hält, lesen sich zwar anstrengend, sind aber in ihrer Stringenz durchaus reizvoll.

Das Geschehen wirkt wie im flachen schwarz-weiß-Film ohne Tiefenwirkung. Die Menschen sind alle nicht attraktiv, und bis auf Klober ziemlich schweigsam. Walser selbst sagt wenig, agiert aber möglichst unauffällig.

Der Roman liest sich spröde und nicht einfach. Die Betrachtungen über Krieg, das Verhalten der Menschen in diesem abstrakten Krieg etc arbeiten nach. Gutes Auseinandersetzen mit diesem Buch !

Gonçalo Manuel Tavares wurde im August 1970 in Luandam Angola geboren. Er zog mit 18 Jahren nach Lissabon. Er studierte sport, Kunst und ist rofessor für Erkenntnistheorie an der Technischen Universität Lissabon. 2001 erschien sein erster Gedichtband - seitdem ist er als Schriftsteller tätig.

Samstag, 22. September 2018

Wilhelm Genazino : "Bei Regen im Saal"

Wilhelm Genazino :
"Bei Regen im Saal"
Roman
2014, Carl Hanser Verlag München
154 Seiten
ISBN 978-3-446-24596-9

Ein 43-jähriger eher erfolgloser Mann plaudert über seine Zuneigung zu Sonja, ihre Körperlichkeit, seinen unbezahlten Job als "Überwinder", dann einem Redakteursjob und seinen Betrachtungen über das gewöhnliche Leben. Beim "Überwinder" handelt es sich um Gespräche mit Menschen, die über Probleme reden wollen und diese überwinden wollen; er möchte das für sein Leben nicht machen.

Nicht uninteressant sind Wortschöpfungen wie Nicht-Ereignisse. 'Inneres Verschrobensein' beschreibt er seinen Zustand, der sehr gut das Chaos und die Unentschlossenheit der Hauptperson umfaßt.

Etwas nervig sind seine erotischen Phantasien, die Schilderungen von fad-gemütlichem Sex, und seiner Fixierung auf den offenbar großen Busen seiner Freundin, der offenbar genauso groß wie der seiner oft bedachten verstorbenen Mutter ist. Auch auf die Gegend zwischen den Beinen von Sonja scheint er fixiert zu sein.

Auf dem Cover ist ein liebevolles Päarchen im Stil der 50-er Jahre vor einer Berglandschaft abgebildet. Nichts davon ist in dem Buch zu spüren - kein Päarchen, keine Berge, kein Miteinander.

Leider passiert in den zwölf Kapiteln wenig Merkbares.
Die Beschreibungen von dünnen Socken, dünner Unterwäsche, viel Ungepflegtheit, und viel Armseligkeit durch Faulheit nerven ziemlich. Unterhaltsam wird die Figu,, dann wenn sie sich der aktuellen Digitalisierung komplett entzieht, indem maximal nur ein altes Radio in der Wohnung ist, sowie eine alte Tasten-Schreibmaschine.

Das Buch ist mühsam zu lesen, und die Hauptfigur hat für mich leider nicht an Reiz gewonnen. Das Ringen um Liebe, das auf der Rückseite des Covers versprochen wird, ist für mich nicht spürbar. Vielleicht macht anderen Leserinnen & Lesern dieser Roman mehr Freunde als mir.

Wilhelm Genazino wurde am 22. Jänner 1943 in Mannheim geboren. Er arbeitete als Voluntär bei einer Zeitung, bevor er Germanistik, Philosophie und Soziologie studierte. Dann arbeitete wieder als Journalist und Redakteur bis nur noch freier Schriftsteller wurde. Sein erster Roman erschien 1965. Jetzt lebt er in Frankfurt am Main.

Samstag, 15. September 2018

Erling Sandmo : "Ungeheuerlich - Seemonster in Karten und Literatur 1491-1895"

 Erling Sandmo :
"Ungeheuerlich - Seemonster in Karten und Literatur 1491-1895"
original "Uhyrlig"
2017, Olso
aus dem Norwegischen übersetzt von Sylvia Kall
2018, Nagel & Kimche
91 Seiten - dickes ausgeschnittenes Cover durch das ein Fischmonster-Auge lugt + 2 Seiten Quellen
ISBN : 978-3-312-01094-3

Phantasievolle Tiere der Wasserwelt die auf Karten die sich in Norwegens Büchereien befinden sind hier liebevoll beschrieben und erläutert. Kapitelweise wird auf zwei Seiten das ausgewählte mehr oder minder gefährliche Wassermonster beschrieben und auf den folgenden zwei Seiten ist die schöne Abbildung dazu.

Bischof Erik Pontoppidan und Olaus Magnus sind die Grundlagen für das meiste Getier. In die Beschreibungen geht einerseits katholische Bewertung von gar fürchterlichen Verbrechen wie Sinnlichkeit einher; andererseits wird auch auf Übersetzungsfehler eingegangen die dann zu ziemlich schrägen Umsetzungen führten. Andere Übersetzer von Grundlagentexten sind weniger klerikal unterwegs.

Es werden Superriesenkraken beschrieben, phantasievoll zusammengesetzte Fabelwesen, singende Wesen die wir aus der Odyssee kennen aber in den Norden reklamiert werden, verschiedene Walarten die Jonas beherbergt hatten, etc.

Das schmale Buch mit gutem hartem Einband ist entzückend und macht es macht Spaß einerseits den Angstphantasien der Menschen auf dem Meer zu folgen, aber mir noch mehr die faszinierenden Zeichnungen zu betrachten. Viel Freunde dabei !

Erling Sverdrup Sandmo wurde am 6. November 1963 geboren. Er ist Historiker, Musikkritiker und hat eine Radiosendung. Außerdem ist der Professor für Geschichte und Archäologie an der Universität Oslo.

Dienstag, 11. September 2018

Antonio Tabucchi : "Erklärt Pereira"

Antonio Tabucchi :
"Erklärt Pereira" - eine Zeugenaussage
original "sostiene Pereira"
1994, Feltrinelli Mailand
Aus dem Italienischen von Karin Fleischhanderl
1995, Carl Hanser Verlag
201 Seiten
ISBN 3-446-18298-5

Pereira, ein rundlicher Kulturjournalist in Portugal mit Faible für französische Autoren des 19. Jahrhunderts wird mit einem jungen Mann, den er als Praktikenten beschäftigt, bekannt. Dieser engagiert sich für die Republikaner im benachbarten Spanien, und das 1938 in der Zeit des Guernica-Angriffs. Während der Journalist versucht in seiner Welt zu bleiben, indem er französische Autoren übersetzt und Nachrufe plant, Omelette verspeist und Limonade trinkt, was auf 190 Seiten geschieht, bricht in den letzten Seiten die Brutalität der Realität in seine Wohnung ein, der junge Mann wird gefoltert und stirbt, worauf Pereira eine List für den Nachruf über den jungen Mann anwendet und sein Verschwinden plant.

Als Kunstgriff ist immer wieder "erklärt Pereira" in den Erzählstrom eingefügt, als ob er das Geschehen jemandem erzählte oder etwas beweisen muß.

Pereira ist Witwer, und unterhält sich mit dem Photo seiner Frau. Offen sprechen kann er mit einem lange bekannten Priester und später einem Arzt in einem Erholungsspital; sonst hält er sich mit dem Sprechen zurück, und versinkt lieber im Übersetzen. Der Roman liest sich gemütlich, Literatur und Philosophie und die Überlegungen über das 'hegemonische Ich' werden gepflegt.
Die Welt des Praktikanten und seiner Freundin, die sich beide für die Nationalisten und gegen Franco entschieden haben, sind ihm fremd. Erst als sich die spanische Kirche auf die Seite Francos schlägt, das Dorf Guernica zerstört wird und der vertrauensselige Praktikant in seiner Wohnung getötet wird, gewinnt der Roman an Geschwindigkeit und Wendigkeit.

Personen der Handlung sind Pereira, der Herausgeber der Zeitung, die Hausmeisterin (und wahrscheinlich Polizeispitzel der Salazar-Diktatur), Praktikant Rossi und seine Freundin Martha. Orte sind Lissabon, und Gegenden am Land oder am Meer.

Es fallen viele Namen von Autoren und Philosophen die mir nicht immer etwas gesagt haben. Beispielsweise sind genannt : Francois Mauriac (französischer Schriftsteller; 1885 - 1970), Filippo Marinetti (italienischer Schrifsteller, Futurist 1876 - 1944), Georges Bernanos (französischer Schriftsteller, 1888 - 1948), Gabriele D'Annunzio (italienischer Schrifsteller, Symbolist; 1863 - 1938), Alphonse Daudet (französischer Schriftsteller; 1840 - 1897).

Das Buch war nicht einfach zu Lesen. Die Welt des dicken einsamen Mannes bietet nicht viel Abwechslung. Faszinierend wie er den Krieg im Nachbarland komplett ausklammert.

Das Buch wurde 1995 mit Marcello Mastroianni in der Rolle des Dr. Pereira verfilmt.

Antonio Tabucchi wurde am 24. September 1943 in Pisa geboren. Er lernte portugiesisch, als er an der Universität in Genua studierte. er war Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Übersetzer. Sein erstes Buch erschien 1975 in Italien (" Piazza d'Italia"). Er starb am 25. März 2012 in Lissabon.

Freitag, 31. August 2018

Andrea Camilleri : "Jagd nach einem Schatten"

Andrea Camilleri :
"Jagd nach einem Schatten"
Roman
original "Inseguendo un'ombra"
2014, Sellerio editore, Palermo
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
2018, Nagel & Kimche
195 Seiten
ISBN : 978-3-312-01086-8

Diese Jagd nach einem Schatten gilt einem Mann im 15 Jahrhundert. Geboren als Jude - vermutlich unter dem Namen Samuel Ben Nissim Abul Farag - merkt er die Nachteile als Juden in Sizilien, konvertiert - und nimmt den Namen Guglielmo Raimondo an-, wird mit Hetzpredigten gegen Juden und grandioser Rhetorik zu einem der Stars im Vatikan. Nach einer 'Verfehlung' - es wird Mord vermutet - flieht er zuerst nach Deutschland, und dann zurück diesmal in die Toskana, wo er unter dem Namen Flavio Mitridate, Übersetzer für Pico della Mirandola wird. Nachdem die Verfehlung nach Jahren wieder verfolgt wird, geht sein weiteres Schicksal unter - Camilleri hat einige Endvorschläge.

Camilleri geht hier auf Spuren anderer Schriftsteller und Historiker wie Leonardo Sciascia, und schreibt drei Kapitel in denen zuerst romanhaft wie gescheit, sprachengenial aber unangenehm und launenhaft der Mensch Samuel/Guglielmo/Flavio gewesen sein könnte / dürfte. In anderem Font arbeitet Camilleri die Unterschiede zwischen seiner Romanfigur und dem, was als es als Belegen gibt, auf.

Ob diese Menschen mit unterschiedlichem Namen wirklich ein Mensch sind, ist nicht geklärt. Geklärt ist die Homosexualität von Flavio, sowie eine Amoure die ihm vielleicht wichtig gewesen sein dürfte. Camilleri macht eine Liebesgeschichte daraus. Daß Flavio einen Liebensjungen vertraglich gesichert hat und diesen wiederholt einfordert, gilt als gesichert.

Die Menschen und Beziehungen im Vatikan zeichnen ein machtgieriges Beziehungsgerüst, in dem erotische Leidenschaften und Cliquen Jahrzehnte vor Luther und Papst Alexander VI den Kirchstaat diktieren.

Samuel/Guglielmo/Flavio ist das Zentrum des Romans. Ihm werden Gefühle, Gedanken und Handlungen im Roman angedichtet; seine Verwandlungen, sein Ehrgeiz und Geldgier sind die Angelpunkte seines Handelns. Einzig sympathisch wirkt seine Vorliebe für wunderbare Bücher.

Die Geschichte ist spannend erzählt, auch wenn etwas zu viele Fachvokabel wie Neophyt (bekehrter Jude), Sbirren (quasi Geheimpolizei in Rom/Vatikan) und v.a. lateinische Sätze aus dem Kirchenbereich, die ich mit den Resten meines Schullateins irgendwie sinnhaft übersetzen konnte. Sinngemäß wird oft im darauf folgenden Satz darauf hingewiesen und einigermaßen erklärt.

Das Buch ist für Menschen die sich gerne in die Renaissance einlesen vermutlich große Freude. Mich hat die Spannung und Ambivalenz zwischen Fantasie und Recherche fasziniert. Viel Freude beim Lesen !

Andrea Camilleri wurde am 6. September 1925 in Porto Empedocle auf Sizielien geboren. Er ist Drehbuchautor, Regisseur und ermutlich am bekanntesten als Schriftsteller. 1978 erschien sein erster Roman, 1994 sein erster Kriminalroman mit Commissario Montalbano (1999 auf Deutsch).

Samstag, 25. August 2018

Mario Giordano : "Tante Poldi und die sizilianischen Löwen"

Mario Giordano :
"Tante Poldi und die sizilianischen Löwen"
Kriminalroman
2016, Bastei Lübbe
362 Seiten
ISBN 978-3-404-17414-0

Der Kriminalroman findet auf Sizilien und in München statt. Tante Leopoldine aus München, eine muntere ehemalige Kostümausstatterin beim Fernsehen, beschließt nach dem Tod ihres italienischen Mannes auf dessen Heimatinsel Sizilien zu ziehen und dort zu leben. Mit Humor, Alkohol, Offenheit und Bereitschaft wirkliches Italienisch zu lernen öffnen sich ihr die Pforten der Nachbarschaft und Umgebung. Sie trifft eine junge bildhübsche französische Nachbarin auf deren Landgut, einen schmierigen Garten- und Hausgestalter, einen älteren Adeligen der Hölderlinfan ist, eine griesgrämige Besitzerin einer Eisdiele und auch den attraktiven Commissario Montana, der den Mord an einem hilfsbereiten jungen Mann lösen soll.

Die Geschichte wird erzählt, indem sie dem jungen Neffen ihre Gefühle, Erwartungen, Eindrücke und Wünsche erzählt - unterhaltsam durchsetzt mit bayrischen und italienischen Ausdrücken. Der beschriebene Neffe ist der Autor - bei den Figuren dürfte der Autor ins familiäre Nähkästchen greifen.

Sizilien und die Menschen sind mit viele Zuneigung erzählt. Liebevoll macht sich der Autor über die 'Italianita' und 'bella Figura' (immer gut ausschauen und die Würde wahren) lustig. Vergnüglich lesen sich die Ansichten der Poldi über das Anziehen und bringt damit zu Lachen (und auch zum Nachdenken).
Etwas Erotik wird saftig bayrisch geschildert.

Bei dem Kriminalroman ist mitraten nach dem Mörder möglich, auch wenn die Lösung sehr überraschend war.

Der Stil ist sehr unterhaltsam und bringt zum lauten Auflachen. Das Buch ist für einen verregneten Sommertag bestens geeignet. Viel Spaß beim Lesen !

Mario Giordano wurde am 30. Mai 1963 in München geboren. Er studierte Psychologie und Philosophie in Düsseldorf. Er schreibt Roman, Kinderbücher und Drehbücher (Tatort, Schimanski etc.).

Dienstag, 21. August 2018

Kate Moore : "Felix - Die Bahnhofskatze"

Kate Moore :
"Felix - Die Bahnhofskatze"
original "Felix - The Railway Cat"
2017, Penguin Books
Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer
2018, Knaur Taschenbuch
334 Seiten + 3 Seiten Einleitung + 6 Seiten Epilog
ISBN 978-3-426-78951-3

Auf dem Cover ist eine wunderschöne grünäugige schwarz-weiße Katze mit langen weißen Schnurrbarthaaren, die ein Bahnhofskapperl über einem Ohr trägt.

Diese wahre Geschichte geht um eine schöne Katze die Huddersfield, Yorkshire, lebt. Einige engagierte Mitarbeiter haben sich drei Jahre um eine Katze als Mäusebekämpferin engagiert, bis endlich das schwarz-weiße flauschige Etwas 2011 zum Bahnhof kam. Liebevoll wird erzählt wie die Menschen am Bahnhof ihr langsam den Bahnhof als ihr Terrain bewußt machen, sie pflegen und sich um sie kümmern. In weiteren Kapiteln wird beschrieben wie sie den Bahnhof immer mehr als ihr Reich betrachtet, und gelassen zuerst auf die vielen Pendler und später auf die Journalisten reagiert.

Die Geschichte ist unterhaltsam erzählt und sehr mit dem Verständnis eines Menschen für das königliche Benehmen, das Katzen an den Tag legen können.

Die Menschen rundherum sind freundlich beschrieben, auch die wichtigen Menschen die wegen beruflicher Veränderung oder Tod aus dem Leben der Katze verschwanden.

Im Mittelteil des Buches sind 8 Seiten mit Photos von Felix seit dem Anbeginn bis aus der Zeit als berühmte Bahnhofskatze.

Das Buch ist ideal für Katzenfreaks, die Verständnis haben daß sich das Leben nur um eine Katze dreht. Viel Spaß beim Lesen - miau :-)

Kate Moore wurde in Northampton (England) geboren. Sie wuchs in Peterborough auf und studierte Englische Literatur an der Universitöt in Warwick. Sie schreibt in verschiedenen Genres von biographien und Geschichte; sie ist auch Ghostwriterin und war an der Spitze eines Buchverlagshauses. Einige Zeit trat sie als Theaterschauspielerin auf. Derzeit lebt sie in London.

Freitag, 17. August 2018

Melinda Mullet : "Whisky mit Mord"

Melinda Mullet :
"Whisky mit Mord"
Kriminalroman
original "Single Malt Murder"
2017, Alibi
aus dem Englischen von Ulrike Seeberger
2018, Aufbau Verlag
375 Seiten
ISBN : 978-3-7466-3391-6

Abigail Logan erbt von ihrem Onkel eine kleine feine Distillerie in Schottland, die sich endlich zu rentieren beginnt. Sie erhält mehrere böse Briefe, um sie von der Übernahme abzuhalten und einem der Angebote zuzuschieben. Allerdings sind die Menschen vor Ort teilweise mehr daran interessiert, daß sie die Destillerie in den Highlands erhält. Knistern mit Grant, der "Nase" in der Distellerie ist, sorgt für weiteres Unbehagen. Ein Mord findet statt, die Polizei sucht nach dem Mörder, sie sucht gemeinsam mit ihrem Terrier Liam nach Antworten und stolpert über die ziemlich gefährliche Lösung.

Die Geschichte ist in Ich-Form mit den Gedanken und Gefühlen von Abi(gail) erzählt. Flüssig und unterhaltsam sind die Menschen denen sie begegnet geschildert. Ihr Uraltfreund Patrick als ihr Alter Ego sowie der treue Hund stehen ihr zur Seite.
Der charmante Duff, seine eher bissige Mutter Shioban, die liebenswürdige Fergie, die tarkräftige Ärztin Kerstin, sowie in der Distellerie Grant, Cam, Hunter etc und einige Kaufinteressenten von japanischen Millionär in Kilt, dem italienischen sinnesfreundige Menschen und einem zwielichten Mann, der vor unverholenen Drohnungen nicht zurückschreckt, wird ein breites Spektrum an Charakteren zu Lesen angeboten.

Es wird hier einiges über Whiskyherstellung, sowie die Geschichte einiger Distillerien erzählt. Betonung haben hier die Highland Whiskys; den getorften Whiskys wird hier keine Sympathie geschenkt (leider).

Die Geschichte wird schwungvoll erzählt und Mitraten wer hinter der Intrige gegen Abi steht und wer der Mörder ist, ist gut möglich.
Viel Spaß beim Lesen (auch ohne feinem Whisky in der Nase).

Melinda Mullet ist in Dallas auf die Welt gekommen, und war Anwältin bevor sie aufs Krimischreiben umstieg. Jetzt lebt sie in Washington. Auf Englisch sind bereits drei Krimimalromane ,die sich alle mit Whisky beschäftigen, erschienen.

Sonntag, 5. August 2018

Marie-Sabine Roger : "Das Leben ist ein listiger Kater"

Marie-Sabine Roger :
"Das Leben ist ein listiger Kater"
Roman
original "Bon rétablissement"
2012, Èditions du Rouergue
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
2014, Atlantik Verlag
217 Seiten
ISBN 978-3-455-60002-5

Jean-Pierre ist Witwer und findet sich in einem Krankenbett wieder. Der Polizist bemüht sich herauszubekommen was passiert ist. Ein studierender Stricher hatte ihn aus der Seine gefischt. Ein rundliches Mädchen kommt ihn im Zimmer besuchen und borgt sich einfach seinen Computer aus. Seine Familie nervt ihn.
Sein rauhbeiniger Charme - er war viel auf Schiffen unterwegs gewesen - kommt bei den Krankenschwestern gut an; bei den Ärzten weniger.
Humorvoll bis zynisch erzählt er vom Krankenhausalltag; traurig auf seine Ehe, in der seine Frau wegen unerfülltem Kinderwunsch immer mehr von ihm abdriftete, und die alleine starb als er weit entfernt war.
Am Schluß gibt es vier Menschen mit denen er in Kontakt bleiben möchte und dafür auch etwas tut.

Die Geschichte ist aus Ich -Sicht erzählt, weil Jean-Pierre an seinen Memoiren formuliert. Eigentlich nerven ihn alle - vor allem die Familie und das manierenlose runde Mädchen Maeva. Nur der Polizist Maxime der nicht aufgibt um das Rätsel um seinen Unfall zu lösen und der junge Mann Camille, der ihn aus der Seine gefischt hat, kommen durch seine harte Schale. Aus seiner Schulzeit poppt eine alte Freundschaft mit Serge auf, die  mit ziemlich skurrillen e-mail-verkehr dargestellt wird.

Die Geschichte ist humorvoll erzählt. Erst langsam wird klar wie sehr sich Jean-Pierre zurückgezogen hat und Menschen nicht mehr um sich haben möchte. Sein kauziger Charme und seine direkte Art machen es nicht einfach für sein Umfeld; daß er sein Herz am rechten Fleck hat ist aber auch klar.

Es macht Spaß die Charaktere zu beobachten, bei den Schilderungen des Krankenhausalltages vergeht der Spaß manchmal. Ort der Handlung ist ein Krankenzimmer.

Immer wieder werden Schriftsteller genannt. Manche sind weltweit bekannt, andere mehr frankophilen Leserinnen und Lesern.

Der französische Originaltitel heißt übersetzt "Gute Gesserung". Kater gibt es einen in der Geschichte; er fügt einige Puzzlestücke zusammen und trägt einen originellen Namen.

In Summe ein Roman, der die Seele wärmt und Hoffnung auf Freunde und liebevolle Menschen macht. Viel Freude beim Lesen !

Marie-Sabine Roger wurde am 19. September 1957 in Bordeeaux geboren. Sie war Lehrerin in der Vorschule als das erste Buch eröffentlicht wurde. Mittlerweile ist sie ausschließlich Roman- und Kinderbuchautorin und hat über 30 Romane und 50 Kinderbücher veröffentlicht. Sie hat einige Zeit in Québec, Madagaskar und La Réunion gelebt.

Donnerstag, 26. Juli 2018

Aldo Cazzullo : "Bitter im Abgang"

Aldo Cazzullo :
"Bitter im Abgang"
Kriminalroman
original "La mia anima é ovunque tu sia. Un delitto. Un tesoro. Una guerra. Un amore"
2011, Mondadori Mailand
Aus dem Italienischen von Petra Kaiser
2014, C.H.Beck München
142 Seiten + 2 Seiten Anmerkungen des Autors
ISBN 978-3-406-66038-2

Der lange Originaltitel "La mia anima è ovunque tu sia. Un delitto. Un tesoro. Una guerra. Un amore." heißt übersetzt "Meine Seele ist wo auch immer du bist. Ein Verbrechen. Ein Schatz. Ein Krieg. Eine Liebe" und erzählt damit die Geschichte bereits.

Angesiedelt ist die Geschichte im Piemont. Es werden einige wenige Tage im Jahr 1945, 1963 und 2011 erzählt. 1945 geht es um die schöne Victoria die von zwei Männern geliebt wird, aber von als Partisanenspionin von Regimetreuen grauslich ermordet, 1965 hat sich das Land erholt aber die Frage nach einem Schatz wird immer noch gestellt, 2011 gibt es einen Mord bei dem der Kommissar bei zwei unterschiedlichen Weingütern versucht zu ermitteln.
Die Kapitel springen zwischen den Zeiten und den handelnden Personen. Im Krieg und später ist ein intriganter Priester wichtig, der einem der heimischen Weinproduzenten mit Geld und Verbindungen behilflich ist; für ihn ist das der Aufbau nach dem Krieg.

Die Geschichte wird eigentümlich spannend erzählt. Der Mord gerät fast in den Hintergrund, weil die alten menschlichen und ethischen Rivalitäten noch immer vorherrschen.

Ein mühsame Sexszene wird beschrieben.

Die Charaktäre der Geschichte sind faszinierend. Es sind meist sture, knorrig wirkende, mittlerweile alte Männer die durch die Kriegs-Partisanen-schlachten gelernt haben zu überleben. Es gibt eigentlich nur zwei Seiten - die Katholiken oder die Kommunisten. Die Feindschaften halten über Jahrzehnte.
Als Alternative gibt es einen eher schleimigen machtbewußten Weinmenschen, der durch die Machenschaften des Priesters um den Schatz reich geworden ist.

Der Roman ist in seiner dichten Art beeindruckend. Die Schilderungen gehen unter die Haut. Viel Freude beim Lesen.

Aldo Cazzullo wurde am 17. September 1966 in Alba geboren. Er ist Journalist und Schriftsteller. Die meisten seiner Bücher sind Sachbücher; "Bitter im Abgang" ist der erste Kriminalroman.

Freitag, 13. Juli 2018

Ingrid Betancourt : "Kein Schweigen, das nicht endet"

Ingrid Betancourt :
"Kein Schweigen, das nicht endet" - Sechs Jahre in der Gewalt der Guerilla
original "Même la silence a la fin"
2010, Gallimard Paris
Aus dem Franzöischen von Maja Ueberle-Pfaff, Elisabeth Liebl und Claudia Feldmann
2012, Knaur
736 Seiten + 3 Seiten Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-3-426-78414-3

Detailreich erzählt die Autorin von der Gefangennahme, den Jahren im Regenwald mit den unterschiedlichsten Gruppen der FARC bis zur Befreiungsaktion.

Sie erzählt von den Wäldern, den Flüssen, den Tieren und den Menschen denen sie begegnet ist. Sie erzählt gut vorstellbar vom Gruppenterror, von der Angst bei den Wanderungen und lebensgefährlichen Klettereien durch den Regenwald und an Felsen, von der Enge in Schiffen, aber auch von Demütigungen sei es durch angekettet sein, durch Mobbing in der Gefangenengruppe (aus Angst ums eigene Leben oder weil nichts zu tun war) oder was ihr als einziger Frau an sexuellen Respektlosigkeiten zugemutet wurde.
Da sie schon vorher eine bekannte, weil politische Gestalt in Kolumbien war und weil sich Frankreich (dessen Doppelstaatsbürgerschaft sie hat) für sie eingesetzt hat, fühlte sie sich Gehäßigkeiten durch Neid ausgesetzt. In der Aufarbeitung anderer Mitgefangener in der Freiheit wird klar, daß die Sonderbehandlungen und Sonderaufmerksamkeiten von außen und daß für anderen Gefangenen wenig bis gar nicht gestritten wurde, offene wunde Punkte für strapazierten Seelen der Menschen verursachte.
Spannend sind die unterschiedlichen Farc-Gruppen geschildert: es gibt Teenagergruppen die noch etwas lockerer und freundlicher waren, durchgedrillte Soldaten ohne Fragen, die unterschiedlichen Geliebten der Gruppenführer die manchmal halfen oder auch intrigierten, die durchaus brutale Hackordnung in den Gruppen bis hin zum Kommando an Guerillafrauen die auf Zuruf Geliebte werden mußten. Manche Gruppenführer hatten etwas Respekt vor den Gefangenen, die anderen (die gefühlte Mehrheit) spielten rücksichtslos ihre Macht aus.

Sie schreibt, daß sie sich oft an der Bibel (es gab wenig Probleme eine als Gefangene zu erhalten) und wenn möglich mittels eines Lexikons das Denken erhalten hat. Manchmal durfte sie anderen Gefangenen Sprachen beibringen, wie einem der Amerikaner spanisch und einer anderen Gefangenen französisch.

Mich haben die vielen Details der langen "Reise" fasziniert, in denen die unterschiedlichen Lager, Toiletten, Quasi-Gefängnisse, aber auch Flüsse, Bäume, Blumen und Papageien, Kaimane, Seeschlangen geschildert sind. Hier frage ich mich ob und wie man sich die Autorin das gemerkt hat, ob sie nachrecherchiert hat oder ob beim Schreiben die Erlebnisse aufgepoppt sind und verarbeitet werden konnten.

Der Titel ist einem Gedicht von Pablo Neruda entnommen.

Das Buch ist als Buch schön geschrieben, mit vielen Beschreibungen und mit dichten, vielschichtigen Worten fast farbig geschildert (und übersetzt).

Mich hat dieses Buch in den Bann gezogen, und ich empfehle es gerne trotz seiner hohen Seitenzahl weiter. Achtung : manche der geschilderten Erlebnisse wirken nach und lassen erst langsam los.

Ingrid Betancourt, geb. am 25. Dezember 1961 in Bogotá, studierte Politik in Paris. 1989 kehrte sie mit ihren Kindern nach Kolumbien zurück, wo sie von 1994 bis 1998 Abgeordnete im Repräsentantenhaus war. Sie erhielt Morddrohungen und brachte 1996 ihre Kinder ins Ausland, eine Erfahrung, die sie in ihrem ersten Buch »Die Wut in meinem Herzen« beschrieb. Als Präsidentschaftskandidatin auf Wahlkampftour, wurde sie am 23. Februar 2002 entführt und erst am 2. Juli 2008 aus der Hand der FARC-Guerilla befreit. Heute lebt sie in den USA und Frankreich.

Donnerstag, 5. Juli 2018

Helen MacDonald : "H wie Habicht"

Helen MacDonald :
"H wie Habicht"
original "H wie Hawk"
2014, Verlag Jonathan Cape, Random House
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
2015, Allagria, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
372 Seiten + 1 Seite Inhaltsverzeichnis + 4 Seiten Postskriptum + 18 Seiten Anmerkungen  (Quellenangaben) + 2 Seiten Danksagung
mit Lesebändchen
ISBN 978-3-7934-2298-3

Das schöne Cover mit einem Linolschnitt eines Habichts hat mich zum Griff nach diesem Buch veranlaßt.

Die Geschichte wird aus Sicht der Autorin in Ich-Sicht erzählt. Man nimmt an ihren Gedanken, Sorgen, Trauer um den Vater und ihre Besessenheit um T.H.White und seinen Habicht Gos(hawk) und die Erziehung ihres wunderschönen Habichts teil.

In schöner Sprache aber ziemlicher Egozentrik erzählt sie von ihren Kindheitserinnerungen an Vater, und Tier/Falken-bücher, über Falknerei, und wie sie gemeinsam mit ihrem Habicht Mabel (liebevoll auch Mabes genannt) eine Einheit aufbaut. Diese Teile in denen sie die Aufzucht, das Training, das immer mehr loslassen, die Sorge, die Feinfühligkeit um diesen faszinierenden und auch geliebten Vogel erzählt zogen mich in den Bann.
Die Abschnitte in denen sie sich an T.H.White abarbeitet sind sehr eigen. Es wird von Whites brutaler Kindheit erzählt, und wie er diese im Erwachsenenleben an anderen Menschen und Tieren auslebt, dabei weder mit seinem Sadismus noch seiner Homoerotik fertig wird. Seine sogenannte Liebe zu Gos wird nur als besitzergreifend transportier und ist oft unachtsam und seine Verantwortung dem Habicht gegenüber falsch einschätzen. Kein Wunder daß Gos das Vertrauen verliert und verloren geht (wie es diesem Habicht weiter ergeht bleibt offen - leider).

Exkurs :  Terence Hanbury White lebte von 1906 bis 1964. Er veröffentlichte unter T.H. White oder dem Pseudonym James Aston. Am bekanntesten dürfte seine Version der Merlin-, und Arthussage sein.

Das Buch umfaßt gefühlt das Trauerjahr nach dem Tod des Vaters - die Autorin verwendet die Formulierung 'Archäologie der Trauer'.

Die Welt in der sich die Autorin bewegt ist eine der belesenen Professoren in Cambridge, die Wälder der Umgebung, und andere Menschen die Falken bis Habichte lieben und mit ihnen leben. Normales Leben ist wenig zu spüren; skurril ist es wenn sie beschreibt mit welchem Habichtsfutter die Tiefkühltruhe gefüllt ist.

Berührend ist es wenn sie von den Beobachtungen von Flugzeugen über England, die ihr Vater als Kind und Jugendlicher penibel aufgeschrieben hat, schreibt.
Schön finde ich die Beschreibungen wenn sie und Mabel durch das Land streifen, sie die Landschaft beschreibt und dann Mabels Verhalten mit der Natur genau schildert.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen, da die Ich-zentriert der Autorin zeitweise strapaziös ist. Ich habe länger dazu gebraucht und es zwischendurch mit Lesezeichen liegen gelassen bis ich weiterlesen konnte.

Diese Buch ist für alle Menschen die sich für Greifvögel und schöne Sprache interessieren sehr empfehlenswert. Viel Freude dabei !

Helen MacDonald wurde 1970 geboren. Sie ist Lyrikerin und Autorin und unterrichtet in Cambridge. 1993 erschienen ihre erste Gedichte. 

Samstag, 30. Juni 2018

Rodrigo Hasbún : "Die Affekte"

Rodrigo Hasbún:
"Die Affekte"
Roman
original "Los afectos"
2015, Penguin Random House Barcelona
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
2017, Suhrkamp Berlin
130 Seiten + 1 Seite Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-3-518-42764-4

In kurzen Kapiteln wird jeweils aus der Sicht anderer Menschen erzählt wie unglücklich Frau Aurelia und Töchter Monika, Heidi und Trixi bei der Emigration aus Deutschland nach Bolivien waren, wie begeistert ein bis zwei Töchter den Vater auf seinen Photoexpeditionen begleiteten und dann deren Entwicklungen als Erwachsene. Während Heide mit dem Arbeitskollegen ihres Vaters wieder nach Deutschland geht und etwas aufbaut, und Trixi dem Rauchen verfällt, entwickelt sich Monika von einem unbeherrschten Mädchen, zu einer gelangweilten Ehefrau, entdeckt ihr Engagement für die Armen und Indios, hat eine Affäre mit ihrem Schwager und wird zur radikalen im Untergrund arbeitenden Guerilera die steckbrieflich gesucht wird. Parallel sind Kapitel aus dem bolivianischen Urwald und der Guerilla eingebaut - inklusive daß die Brutalitäten bei den Zusammenstössen zwischen Militär und Untergrund inkl. Folter angesprochen werden.

Die Geschichte basiert auf der der Familie Hans Ertls und seiner Tochter Monika, auch wenn als Vorwort steht, daß die Geschichte zufällig ist. Es geht um die Zeit zwischen 1953 und 1973, mit seinen Umbrüchen in Lateinamerika. Auseinandersetzung mit Nazi-Deutschland findet nur am Rande statt.

Unter dem Begriff "Affekte" habe ich mehrere Bedeutungen gefunden : Gefühle, Anregung, Antrieb, Instinkt, Anwandlung, Instinkt bis Idee. Mir fällt die Zuordnungsbedeutung für dieses Buch jedoch schwer.

Die Kapitel sind dicht geschrieben und ich bin in den Stil hineingefallen. Es ist spannend herauszufinden aus welcher Sicht die Kapitel sind - es sind auch der Schwager Monikas bis zu Arbeitern dabei.

Die Menschen sind nicht beschrieben, aber in ihrer Energie und Gedanken, ihre Sorgen und Gefühle und Gelüste spürbar. Dafür sind La Paz, sowie Regen- und Urwald und Häuser bis Lehmhütten in Worten umrissen.

In Summe ein spannendes Buch, das ich empfehlenswert finde. Viel Freude beim Lesen !

Rodrigo Hasbún wurde 1981 in Cochabamba (Bolivien) geboren. Er studierte Journalismus in Bolivien und Chile. 2007 erschien sein erster Roman.