Donnerstag, 26. Juli 2018

Aldo Cazzullo : "Bitter im Abgang"

Aldo Cazzullo :
"Bitter im Abgang"
Kriminalroman
original "La mia anima é ovunque tu sia. Un delitto. Un tesoro. Una guerra. Un amore"
2011, Mondadori Mailand
Aus dem Italienischen von Petra Kaiser
2014, C.H.Beck München
142 Seiten + 2 Seiten Anmerkungen des Autors
ISBN 978-3-406-66038-2

Der lange Originaltitel "La mia anima è ovunque tu sia. Un delitto. Un tesoro. Una guerra. Un amore." heißt übersetzt "Meine Seele ist wo auch immer du bist. Ein Verbrechen. Ein Schatz. Ein Krieg. Eine Liebe" und erzählt damit die Geschichte bereits.

Angesiedelt ist die Geschichte im Piemont. Es werden einige wenige Tage im Jahr 1945, 1963 und 2011 erzählt. 1945 geht es um die schöne Victoria die von zwei Männern geliebt wird, aber von als Partisanenspionin von Regimetreuen grauslich ermordet, 1965 hat sich das Land erholt aber die Frage nach einem Schatz wird immer noch gestellt, 2011 gibt es einen Mord bei dem der Kommissar bei zwei unterschiedlichen Weingütern versucht zu ermitteln.
Die Kapitel springen zwischen den Zeiten und den handelnden Personen. Im Krieg und später ist ein intriganter Priester wichtig, der einem der heimischen Weinproduzenten mit Geld und Verbindungen behilflich ist; für ihn ist das der Aufbau nach dem Krieg.

Die Geschichte wird eigentümlich spannend erzählt. Der Mord gerät fast in den Hintergrund, weil die alten menschlichen und ethischen Rivalitäten noch immer vorherrschen.

Ein mühsame Sexszene wird beschrieben.

Die Charaktäre der Geschichte sind faszinierend. Es sind meist sture, knorrig wirkende, mittlerweile alte Männer die durch die Kriegs-Partisanen-schlachten gelernt haben zu überleben. Es gibt eigentlich nur zwei Seiten - die Katholiken oder die Kommunisten. Die Feindschaften halten über Jahrzehnte.
Als Alternative gibt es einen eher schleimigen machtbewußten Weinmenschen, der durch die Machenschaften des Priesters um den Schatz reich geworden ist.

Der Roman ist in seiner dichten Art beeindruckend. Die Schilderungen gehen unter die Haut. Viel Freude beim Lesen.

Aldo Cazzullo wurde am 17. September 1966 in Alba geboren. Er ist Journalist und Schriftsteller. Die meisten seiner Bücher sind Sachbücher; "Bitter im Abgang" ist der erste Kriminalroman.

Freitag, 13. Juli 2018

Ingrid Betancourt : "Kein Schweigen, das nicht endet"

Ingrid Betancourt :
"Kein Schweigen, das nicht endet" - Sechs Jahre in der Gewalt der Guerilla
original "Même la silence a la fin"
2010, Gallimard Paris
Aus dem Franzöischen von Maja Ueberle-Pfaff, Elisabeth Liebl und Claudia Feldmann
2012, Knaur
736 Seiten + 3 Seiten Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-3-426-78414-3

Detailreich erzählt die Autorin von der Gefangennahme, den Jahren im Regenwald mit den unterschiedlichsten Gruppen der FARC bis zur Befreiungsaktion.

Sie erzählt von den Wäldern, den Flüssen, den Tieren und den Menschen denen sie begegnet ist. Sie erzählt gut vorstellbar vom Gruppenterror, von der Angst bei den Wanderungen und lebensgefährlichen Klettereien durch den Regenwald und an Felsen, von der Enge in Schiffen, aber auch von Demütigungen sei es durch angekettet sein, durch Mobbing in der Gefangenengruppe (aus Angst ums eigene Leben oder weil nichts zu tun war) oder was ihr als einziger Frau an sexuellen Respektlosigkeiten zugemutet wurde.
Da sie schon vorher eine bekannte, weil politische Gestalt in Kolumbien war und weil sich Frankreich (dessen Doppelstaatsbürgerschaft sie hat) für sie eingesetzt hat, fühlte sie sich Gehäßigkeiten durch Neid ausgesetzt. In der Aufarbeitung anderer Mitgefangener in der Freiheit wird klar, daß die Sonderbehandlungen und Sonderaufmerksamkeiten von außen und daß für anderen Gefangenen wenig bis gar nicht gestritten wurde, offene wunde Punkte für strapazierten Seelen der Menschen verursachte.
Spannend sind die unterschiedlichen Farc-Gruppen geschildert: es gibt Teenagergruppen die noch etwas lockerer und freundlicher waren, durchgedrillte Soldaten ohne Fragen, die unterschiedlichen Geliebten der Gruppenführer die manchmal halfen oder auch intrigierten, die durchaus brutale Hackordnung in den Gruppen bis hin zum Kommando an Guerillafrauen die auf Zuruf Geliebte werden mußten. Manche Gruppenführer hatten etwas Respekt vor den Gefangenen, die anderen (die gefühlte Mehrheit) spielten rücksichtslos ihre Macht aus.

Sie schreibt, daß sie sich oft an der Bibel (es gab wenig Probleme eine als Gefangene zu erhalten) und wenn möglich mittels eines Lexikons das Denken erhalten hat. Manchmal durfte sie anderen Gefangenen Sprachen beibringen, wie einem der Amerikaner spanisch und einer anderen Gefangenen französisch.

Mich haben die vielen Details der langen "Reise" fasziniert, in denen die unterschiedlichen Lager, Toiletten, Quasi-Gefängnisse, aber auch Flüsse, Bäume, Blumen und Papageien, Kaimane, Seeschlangen geschildert sind. Hier frage ich mich ob und wie man sich die Autorin das gemerkt hat, ob sie nachrecherchiert hat oder ob beim Schreiben die Erlebnisse aufgepoppt sind und verarbeitet werden konnten.

Der Titel ist einem Gedicht von Pablo Neruda entnommen.

Das Buch ist als Buch schön geschrieben, mit vielen Beschreibungen und mit dichten, vielschichtigen Worten fast farbig geschildert (und übersetzt).

Mich hat dieses Buch in den Bann gezogen, und ich empfehle es gerne trotz seiner hohen Seitenzahl weiter. Achtung : manche der geschilderten Erlebnisse wirken nach und lassen erst langsam los.

Ingrid Betancourt, geb. am 25. Dezember 1961 in Bogotá, studierte Politik in Paris. 1989 kehrte sie mit ihren Kindern nach Kolumbien zurück, wo sie von 1994 bis 1998 Abgeordnete im Repräsentantenhaus war. Sie erhielt Morddrohungen und brachte 1996 ihre Kinder ins Ausland, eine Erfahrung, die sie in ihrem ersten Buch »Die Wut in meinem Herzen« beschrieb. Als Präsidentschaftskandidatin auf Wahlkampftour, wurde sie am 23. Februar 2002 entführt und erst am 2. Juli 2008 aus der Hand der FARC-Guerilla befreit. Heute lebt sie in den USA und Frankreich.

Donnerstag, 5. Juli 2018

Helen MacDonald : "H wie Habicht"

Helen MacDonald :
"H wie Habicht"
original "H wie Hawk"
2014, Verlag Jonathan Cape, Random House
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer
2015, Allagria, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
372 Seiten + 1 Seite Inhaltsverzeichnis + 4 Seiten Postskriptum + 18 Seiten Anmerkungen  (Quellenangaben) + 2 Seiten Danksagung
mit Lesebändchen
ISBN 978-3-7934-2298-3

Das schöne Cover mit einem Linolschnitt eines Habichts hat mich zum Griff nach diesem Buch veranlaßt.

Die Geschichte wird aus Sicht der Autorin in Ich-Sicht erzählt. Man nimmt an ihren Gedanken, Sorgen, Trauer um den Vater und ihre Besessenheit um T.H.White und seinen Habicht Gos(hawk) und die Erziehung ihres wunderschönen Habichts teil.

In schöner Sprache aber ziemlicher Egozentrik erzählt sie von ihren Kindheitserinnerungen an Vater, und Tier/Falken-bücher, über Falknerei, und wie sie gemeinsam mit ihrem Habicht Mabel (liebevoll auch Mabes genannt) eine Einheit aufbaut. Diese Teile in denen sie die Aufzucht, das Training, das immer mehr loslassen, die Sorge, die Feinfühligkeit um diesen faszinierenden und auch geliebten Vogel erzählt zogen mich in den Bann.
Die Abschnitte in denen sie sich an T.H.White abarbeitet sind sehr eigen. Es wird von Whites brutaler Kindheit erzählt, und wie er diese im Erwachsenenleben an anderen Menschen und Tieren auslebt, dabei weder mit seinem Sadismus noch seiner Homoerotik fertig wird. Seine sogenannte Liebe zu Gos wird nur als besitzergreifend transportier und ist oft unachtsam und seine Verantwortung dem Habicht gegenüber falsch einschätzen. Kein Wunder daß Gos das Vertrauen verliert und verloren geht (wie es diesem Habicht weiter ergeht bleibt offen - leider).

Exkurs :  Terence Hanbury White lebte von 1906 bis 1964. Er veröffentlichte unter T.H. White oder dem Pseudonym James Aston. Am bekanntesten dürfte seine Version der Merlin-, und Arthussage sein.

Das Buch umfaßt gefühlt das Trauerjahr nach dem Tod des Vaters - die Autorin verwendet die Formulierung 'Archäologie der Trauer'.

Die Welt in der sich die Autorin bewegt ist eine der belesenen Professoren in Cambridge, die Wälder der Umgebung, und andere Menschen die Falken bis Habichte lieben und mit ihnen leben. Normales Leben ist wenig zu spüren; skurril ist es wenn sie beschreibt mit welchem Habichtsfutter die Tiefkühltruhe gefüllt ist.

Berührend ist es wenn sie von den Beobachtungen von Flugzeugen über England, die ihr Vater als Kind und Jugendlicher penibel aufgeschrieben hat, schreibt.
Schön finde ich die Beschreibungen wenn sie und Mabel durch das Land streifen, sie die Landschaft beschreibt und dann Mabels Verhalten mit der Natur genau schildert.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen, da die Ich-zentriert der Autorin zeitweise strapaziös ist. Ich habe länger dazu gebraucht und es zwischendurch mit Lesezeichen liegen gelassen bis ich weiterlesen konnte.

Diese Buch ist für alle Menschen die sich für Greifvögel und schöne Sprache interessieren sehr empfehlenswert. Viel Freude dabei !

Helen MacDonald wurde 1970 geboren. Sie ist Lyrikerin und Autorin und unterrichtet in Cambridge. 1993 erschienen ihre erste Gedichte.