Dienstag, 28. November 2017

Frank Schirrmacher : "EGO - Das Spiel des Lebens"

Frank Schirrmacher :

"EGO - Das Spiel des Lebens"
2013, Karl Blessing Verlag
9 Seiten Vorwort + 272 Seiten  + 1 Seite Danksagung  + 4 Seiten Appendix 'Entwicklungsgeschichte des künstlichen Agenten an den Börsen' + 32 Seiten Bibliographie + 19 Seiten Anmerkungen (zu den Fußnoten) + 3 Seiten Personenregister
ISBN 978-3-896-67427-2

Gleich vorneweg : das Buch ist anspruchsvoll und hat mich emotional aufgewühlt.
Die Theorie ist, daß uns Menschen unterstellt wird als 'homo öconomicus' als nur auf unsere Vorteile bedachter Mensch zu agieren, und da dies nicht wirklich gelingt, versucht man uns via Medien, soziale Netzwerke etc. dorthin zu gängeln.
Es wäre für Wirtschaftsmenschen und vermutlich auch Politiker viel einfacher wenn wir endlich der leicht lenkbare und vorhersagbare 'Mensch Version 2' wären.

Während früher die Menschen mechanische Puppen entwickelten oder sich Ideen wie Frankenstein entwickelten, wurden nach dem 2. Weltkrieg daran gearbeitet das "Spiel" der Wirtschaft zu optimieren. Oft wird RAND Corporation gebracht, eine amerikanische Denkfabrik, die eigentlich die Streitkräfte beraten hat, aber nach dem streichen des Etats ihre abstrakten Gedanken in andere Metiers einbracht. Es wird zitiert, daß John Nash hoffte, daß sich Menschen gewinnmaximierend verhielten, und enttäuscht war daß soziale Bande sich als wichtiger erwiesen.

Das Thema des Datenhungers und wie einfach Daten frei gegeben werden  - manchmal mit manchmal ohne das Wissen, bzw oft mit Erzwingen von persönlichen Daten, da der Mensch (bewußt kein User) sonst nicht auf Websites weitersuchen darf - wird oft angesprochen.

Während es in Teil 1 um das Spiel an sich geht, geht es im Teil 2 mehr um den Menschen, und wie das Spiel ihn sich gefügig machen will. Hier geht es auch um Brüche mit Werten wenn zwar Loyalität, Treue und Bildung wichtig in der Gesellschaft wären, aber keinen (Mehr)-Wert besitzen, und damit Strukturen im sozialen Verbund zu bröckeln beginnen, und auch Vertrauen ein zerbröselnder Wert wird, und zurück auf die Gesellschaft fallen wird.

Nachdem das Buch vieles in Frage stellt ist der Ausklang leicht versöhnlich wenn der 1984 geborene  Evgeny Morozow zitiert wird, daß wir nur die "Marionette" (des Spiels) zu töten brauchen.

Stilistisch tut das Buch so als wäre es einfach zu lesen, während die Information und Vernetzungen die an Grundwerte gehen langsam im kognitiven Untergrund zu brodeln anfangen.
Ich konnte meist nur 10 bis 15 Seiten lesen und mußte dann das Buch zumachen um das Gelesene setzen zu lassen und/oder ein intelligentes flexibles Gegenüber zu suchen um über das gerade Gelesene reden zu können.

Selbst als halbwegs gebildeter Mensch sind die vielen Verweise aus Politiker, Wissenschaftler, Menschen der Wirtschaft und Schriftsteller nicht immer einfach zu verknüpfen.
Die Art und Weise Angaben zu zitieren ohne dabei an Spannung zu verlieren, wünsche ich schon wegen der Akkuratesse mancher Doktorarbeit.

Leider ist das Buch 2013 erschienen, der Autor 2014 plötzlich verstorben. Wie wäre das Vorwort zu aktuellen Auflage dieses Autors im Herbst 2017 gewesen ? Wie hätte sich jetzt seine Meinung zu dem immer brennenderen Thema geändert oder verschärft ?

In Summe ein grandioses Buch, das aber auch aufwühlen kann. Viel viel Freude beim Lesen und Grübeln !

Frank Schirrmacher wurde am 5. September 1959 in Wiesbaden geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik in Deutschland und Literatur und Philosophie in England. Seit 1994 zählte er zu den Herausgebern der "FAZ". Er gehörte zu den einflussreichsten deutschen Journalisten, und erntete als blitzgescheiter Querdenker entweder Fans oder Skeptiker. Er starb am 21. Juni 2014 an einem Herzinfarkt in Frankfurt am Main.

Donnerstag, 23. November 2017

Wendy Guerra : "Alle gehen fort"

Wendy Guerra :
"Alle gehen fort"
Roman
original "Todos se van"
2006 Indent Literary Agency
Aus dem Spanischen von Peter Tremp
2017, Unionsverlag Taschenbuch
197 Seiten + 3 Seiten Worterklärungen (Namen, Schlagworte)
ISBN 978-3-293-2077-5

Nieve schreibt in Tagebüchern über ihr Leben, zuerst als Kind, dann als Jugendliche. Sie lernt früh, daß wichtige Menschen gehen, entweder ins Gefängnis oder weil sie Kuba verlassen (müssen). Ihre Mutter, eine kreative Frau die Puppen bastelt und im Radio Kindersendungen macht, glaubt zwar dem kubanischen Kommunismus, versteht aber die Reglementierungen und die Unmenschlichkeit der Diktatur sowie die Brutalität gegen Kunst nicht. Nieves Vater wird als Alkoholiker mit Wandertheater geschildert, der zwar seine Tochter beherrschen, sie aber nicht versorgen will. (Die Abschnitte über Gewalt und Hunger sind heftig). Fausto, der liebevolle freundliche schwedische Freund der Mutter, wird des Landes verwiesen. Nieve verliert alle Kontakte bei jedem Schulwechsel. Sie lernt sich oft zu verabschieden.
Als Jugendliche ist sie in kreativen Kreisen. Sie lernt Osvaldo, einen berühmten Künstler kennen und lieben. Als er nach Paris eingeladen wird, heißt es lange warten, bis klar wird, daß sie nicht nachreisen kann. Filmemacher Antonio bringt sie darauf das echte Leben zu betrachten, nicht nur durch die Seiten der Tagebücher, die sie schreibt.

Die Geschichte wird aus der Ich-Sicht in Tagebuchform erzählt, in die manchmal Gedichte einfließen. Der einzige Teil der nicht aus Nieves Sicht beschrieben ist, ist ein langer Brief von Antonio.

Ich bin eingetaucht in die Welt und die Beschreibungen des Mädchens und später der jungen Frau. Diese Welt bestand am Anfang aus Liebe der Mutter und ihres Freundes, sowie der Brutalität ihres Vaters. Früh lernt sie Angst und Mund halten kennen, weshalb sie sich nur den Tagebüchern anvertraut (was - wie sie weiß - politischer Wahnsinn ist).
Die Stellen in denen kreativ gearbeitet wird und Menschen einfach Kunst und Musik leben wollen sind stark; ebenso die in denen verbotene Literatur, weil zensuriert, versteckt werden muß.

Es gibt einige deftige erotische Absätze.

Politischer Hintergrund ist die Zeit der Repressionen und Hungerszeit der 70-er auf Kuba, in der viele Menschen gehen wollen. Ich habe einiges nachgelesen in der Geschichte Kubas : über die Zeit als die Menschen in der peruanischen Botschaft Zuflucht suchten, als Ausreisewillige wüst beschimpft wurden und die künstlerisch 'graue' Ära auf der Insel.

Die Namen der Worterklärungen führen zu einigen Künstlern die mir neu waren.

Im Summe ein dichter Roman bei dem sich Menschen und Rundherum gut vorstellen lassen - sowohl das Lebensgefühl, auch auch die Diktatur der Lebensverweigerung. Viel Freude beim Lesen !

Wendy Guerra wurde am 11. Dezember 1970 in Havanna (Kuba) geboren. Mit 17 veröffentlichte sie ihren ersten Lyrikband, dann ging sie auf die Kunsthochschule. Später arbeitete sie als Radio- und Fernsehsprecherin und Schauspielerin und besuchte die Filmhochschule um Regie zu lernen. Nach dem außenpolitischen Erfolg ihrer Gedichte, wurde sie in Kuba negiert, was sie dazubrachte in spanischen Zeitungen zu schreiben. Mittlerweile sind drei Gedichtbände und fünf Romane von ihr erschienen. Sie lebt weiterhin auf Kuba.

Montag, 13. November 2017

Julie Wassmer : "Eine Leiche kommt selten allein"

Julie Wassmer :
"Eine Leiche kommt selten allein" - Küstenkrimi
original "Murder on Sea" (Whitstable Pearl Mystery #2)
2015, Constable
Aus dem Englischen von Sepp Leeb
2017, Ullstein Buchverlage GmbH Berlin
327 Seiten
ISBN 978-3-548-29017-1

Pearl, die ein eigenes Restaurant hat und als Detektivin bekannt ist, hat es diesmal mit bösartigen Weihnachtskarten zu tun, die den Menschen den Spiegel vorhalten. Ihre beste Freundin und Steuerberaterin wird während der Weihnachtstombola in der Kirche vergiftet. Die liebevolle ältere Putzfrau wird auch vergiftet, und als noch eine Leiche entdeckt wird löst Pearl bei einem gemütlichen Weihnachtszusammensein das Rätsel der bösen Weihnachtskarten und die Morde auf.

Nebenbei wird das zarte Knistern, das in Band 1 zwischen Pearl und Inspector Mc Guire, begonnen hat, weitergeführt. Auch andere Lieben sind wichtig, manche gehen gut aus, manche nicht.

Zeitpunkt der Handlung ist die Woche vor Weihnachten mit Vorbereitungen, Treffen, und Beschreibungen von Weihnachtsessen und Traditionen.

Pearl ist als charmante offene tatkräftige Frau geschildert, Mc Guire ist zurückhaltender aber effektiv als Polizist, Pearls Mutter Polly ist farbenkräftig, Nathan - eine guter Freund Pearls - ist stilsicher und hilft ihr oft weiter, Diana eine bodenständige Steuerberaterin mit Prinzipien, Martha die ältere emsige Putzfrau, Bonita (früher straßenköterblond) und Simon sind zwar entspannt nerven Diana jedoch, Giles und Alice sind Arzt und Ehefrau die in einen jüngeren Mann verliebt war was noch zu Komplikationen führt, Cassie ist eine Photographin auf Durchreise, Reverend Pru eine (für manche zu) farbenfrohe Pastorin.

Sehr nett fand ich, daß jede Menge Katzen durch die Handlung spazieren : Mutter Dolly hat Kater Mojo; Putzfrau Martha hat Pilchard und Sprat und Nathan Kater Biggy. Das Katzenvolk schnurrt, schäft oder frißt nach Bedarf oder saust durch die Gegend.

Da Pearl als Restaurantbesitzerin beschrieben wird, gibt es einiges an Eßbarem in dem Krimi. Entgegen der landläufigen Meinung liest sich diese britische Küche sehr g'schmackig, bis auf das mir zu viel Frischkäse verwendet wird.

Den Küstenort Whitstable gibt es wirklich; es ist ein Ort in der Grafschaft Kent im Süden von England, der Nahe Canterbury liegt.
In dem Buch wird einiges über die Stadt selbst und sonst anekdotenhaftes der Region erzählt, was mir manchmal zu lange wurde. Das Auftauchen der Seidenschwänze (kleine Singvögel mit verwegenem Schopf) fand ich allerdings interessant.

Die Geschichte ist unterhaltsam erzählt und gemütlich. Mir wurde es allerdings mit zuviel Lokalkolorit etwas lange, sodaß ich für die Handlung einige Seiten sehr rasch quer gelesen habe.

Wer einen gemütlichen verschneiten Weihnachtskrimi sucht, wird sich hier wohlfühlen inkl. beim Mitraten von whodunnit. Viel Freude beim Lesen !

Julie Wassmer dürfte 1953 auf die Welt gekommen sein. Sie schreibt seit über zwanzig Jahren Drehbücher für die BBC. 201o erschien ihre Autobiographie "More Than Just Coincidence", in der sie beschreibt wie sie ihre mit 17 Jahren weggebene Tochter wiederfindet. "
Pearl Nolan und der tote Fischer" ist der Auftakt zu ihrer Serie um die Privatdetektivin und Köchin Pearl Nolan, bei der mittlerweile Band 4 auf englisch erschienen ist (auf deutsch erst Band 2). Julie Wassmer lebt in Whitstable und engagiert sich für Umweltschutz. 

Freitag, 10. November 2017

Sybille Lewitscharoff : "Killmousky"

Sybille Lewitscharoff :
"Killmousky"
Roman
2015, Suhrkamp Verlag, Berlin
217 Seiten
ISBN 978-3-518-46601-8

Richard Ellwanger, der wegen einer verbalen Bedrohung bei einer Kindesentführung seinen Job als Polizist verloren hatte, wird gebeten in New York als Privatdetektiv den Tod einer jungen reichen Frau aufzuklären. Der Vater der jungen Frau sitzt im Rollstuhl und bietet Geld an, die ältere attraktive Schwester der Toten ihren Charme und Hilfe. Beide verdächtigen den blonden attraktiven angenehm erscheinenden Witwer, da er bei Tod alles kassiert hat. Eine Fährte lockt den Detektiv zurück nach Deutschland, wo der Fall Konturen gewinnt. Zurück in New York überlebt er durch Glück, und der Fall ist gelöst.

In Deutschland war ihm ein schwarzer Kater zugelaufen, der titel- und covergebende "Killmousky" der seinem Namen alle Ehre tut, und zwischendurch auf Schmusekater wechselt.

Ellwanger ist Mitte 50 und eher schlicht in seinem Äußeren beschreiben, seiner Vermieterin eine fröhliche Bayerin die in New York restauriert, der alte Mann im Rollstuhl sowie die ältere Tochter Catherine erinnern mich an "the deep sleep" von Raymond Chandler (ich hatte als Catherine den alten Film mit Lauren Bacall vor mir), der schöne blonde angenehme Mann Larson wird greifbarer als er sich am Ende bei Ellwanger über Frau sowie Schwägerin und Schwiegervater negativ äußert und dabei seine schöne Haltung verliert.

Die Orte in Deutschland sind nachvollziehbar, genauso wie der plötzliche Luxus mit der Ellwanger in New York im Hotel aber auch bei ungewohnten Menschen konfrontiert wird.

Die Metaphern und die Wortkreationen in dem Buch haben mich gut unterhalten: beispielsweise S. 114 gibt es 'Kleingehäuseltes", auf S. 44 kann man "in Vasen chinesische Kaiser verstecken" und auf S. 41 wird die Größe des Bettes beschrieben, daß "zehn Kerle eine Kissenschlacht hätten veranstalten können".

Die Katzenanteile sind etwas zu wenig nach meinem Geschmack, aber immerhin gibt es passend zum Titel und Cover auch eine gut vorstellbare Katze im Buch.

Die Geschichte ist gut geschrieben, und lauft gut vorstellbar ab. Es wären viele Auflösungen des Todes der jungen Frau möglich gewesen, also war es für mich spannend zu schauen welches Ende hier gewählt wurde. Viel Freude beim Lesen.

Sibylle Lewitscharoff wurde am 16. April 1954 in Stuttgart geboren. Sie studierte Religionswissenschaften und las die Klassiker der Kommunistischen Literatur; es folgten Hörspiele und Radiofeatures bis 1994 der erste Roman erschien. Es erschienen seitdem sieben weitere Romane ('Killmousky' als Krimi nicht mitgerechnet). 
In den Medien war sie 2014 als sie Kinder die nicht auf natürliche Weise entstanden waren Halbwesen nannte; diese lieblose Haltung diesen Kindern gegenüber (und Eltern mit Kinderwunsch) brachte sie ziemlich in Kritik.