Mittwoch, 19. Februar 2014

Sergio Àlvarez : "35 Tote"

Sergio Àlvarez :
"35 Tote"
original "35 muertos"
2010,
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis
2011, Suhrkamp Nova
536  Seiten
ISBN 978-3-518-46250-8

Der Roman erzählt die Geschichten eines Jungen in Kolumbien, der bald Waise wird. Er lebt zuerst bei einem Wahlonkel am Land, dann bei einer fröhlichen Tante in der Stadt die sich in einen Kommunisten verliebt. Die ersten Kommunen und Gewerkschaften entstehen - auch Verrat. Später hat der junge Mann Freunde mit denen er Markenartikel stiehlt und dann Bier und Joints genießt. Die erste große Liebe flammt auf, wird genossen und zerbricht. Er studiert Philosophie ohne Interesse, zerbricht fast, und wird vom  Militärdienst aufgelesen und erzogen. Als Soldat bekommt er den brennenden Justizpalast zu sehen und muß dort Geschehenes mitaufräumen. Die Präsidenten des Landes kommen und gehen (und werden meist verachtet), aber die Gewalt steigt. Am Land sieht er eine Chance und zieht mit einem Puppenspieler aus der Zeit der Kommunisten (und dessen Tochter) durchs Land, sieht die Kaffeeregionen und manche Städte. Wieder zerbricht alles am Strudel von Drogen und Gewalt. Wieder erscheint eine neue Frau, neues Leben, diesmal mit Ehe und Familie, aber auch das zerbricht am Drogen-Waffen-Handel und diesmal härterem Eingriff der Politik. Ein Freund hilft und er kommt diesmal zu Paramilitärs, fliegt als weicher Mensch und Kommunist auf und kann gerade noch entfliehen. Wieder hilft ein Freund - diesmal nach Madrid verschwinden.  Die Kolumbianer in Spanien helfen einander, aber es ist wieder der Kreislauf aus Drogen und Zuschlagen der wieder alles zerschlägt.

Ich  - es erzählt in jedem Kapitel ein 'ich' das Geschehen von Tod, Liebe, Hoffnung bis Gewalt. Meist ist es der junge Mann, dessen Leben begleitet wird - von der Entstehung bis zum Leben in Madrid der Jahrtausendwende. Manchmal ist es die Tante, dann eine Geliebte, dann eine betrügende Geliebte, dann ein Weggefährte, oder Menschen die nicht mehr im Roman vorkommen sondern nur eine Facette des Lebens erzählen. Sich hier wieder einzudenken und einzufühlen ist nicht immer einfach.

Er wird von vielen Menschen umgeben : seine lebensfrohe Tante Christinita die andere letzten großen Liebe stirbt, sein Jugendfreund Quique vom Land, die Freunde aus der Kommunenzeit Marcos, Nemo, Zuma, el Fantasma etc, Frauen wie Natalía, Talía, Camila, María Paula in die er sich verliebt und glücklich verträumt ist solange es geht. Die Menschen sind nachfühlbar beschrieben.

"Glaub mir Bruder, hier regiert der Tod, und wer nicht tötet oder töten lässt, ist nichts wert, ein Nichts" (Seite 473)

Wer mit der Geschichte Kolumbiens besser vertraut ist, wird die nebenbei erzählten politischen Fakten besser einreihen können. Die Ermordung des Schwester eines Präsidenten wird nebenbei erzählt, auch diverse andere Charaktereigenschaften von Präsidenten. Nur der Sturm auf den Justizpalast von Studenten, Schießereien mit dem Militär, alles zulasten der Geiseln die rücksichtslos als Collateralschaden betrachtet werden, Brand der die Geiselnehmer zum aufgeben zwingen soll und Leichen unkenntlich werden läßt wird genauer geschildert. Daß dann beim Aufräumen nicht alles rechtens zuging, wird erst in der neueren Geschichte aufgearbeitet.

Das Buch wird mit Gabriel Garcia Marquez "100 Jahre Einsamkeit" verglichen. Diesen Vergleich kann ich nicht bestätigen, da mich die blühenden Metaphern und das Herumspringen von Damen gleichen Namens aber ungleicher Geschichte tief in seinen sprachlichen Bann gezogen hatte. Alvarez benutzt keine Metaphern und die Sprache ist nicht so reichhaltig, wie die phantasievolle und skurrile Ideenwelt von Gabriel Garcia Marquez.

Das Buch zieht durch die Geschichte von Gewalt, Politik, Liebe, Erotik und Tanz & Musik in den Bann. Vermutlich ist die Welt der Drogen, Waffen, Gewalt nur durch die Lebenslust am Tanz, Vallenato, Salsa und Alkohol & gutem Essen und Sex auszuhalten.

In Summe ein intensives, starkes Buch, bei dem ich immer wieder im Internet nachrecherchiert habe da ich die Hintergründe nicht wahrnehmen wollte. Ein empfehlenswertes Buch, für das sich Leserin & Leser Zeit nehmen sollten.

Sergio Alvarez wurde 1965 in Bogotá geboren. Er ist Schriftsteller und Journalist. Seine Artikel erscheinen in 'El Pais' und 'La Vanguardia'. 2004 ist sein erster Roman erschienen : 'La Lectora' das das Drogenphandel beschäftigt; 2006 'Mapaná'  das sich mit dem Generationenproblem am Amazonas auseinandersetzt; '35 Muertes' ist sein dritter Roman.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Melanie Laibl / Maria Karipidou : "Der katzofantastische Wunschautomat"

Melanie Laibl (Text) / Maria Karipidou (Illustration) :
"Der katzofantastische Wunschautomat"
2014, Nilpferd in Residenz Verlag, Österreich
58 Seiten
ISBN 978-3-7017-2132-0

Dieses entzückende Kinderbuch erzählt humorvoll geschildert und bebildert die Geschichte des schwarzen Katers Hatschek.

Der freundliche liebevolle, aber pechschwarze Kater läuft ausgerechnet dem abergläubischen Herrn Hasenfuß zu, der vor Freitag dem 13, schwarzen Katzen und sonst vielem Angst hat. Mithilfe des einbeinigen Piratenpapageis Frankenstein, der köstliche Wortspiele liefert, findet er zwar den katzofantastischen Wunschautomat, aber genau bei dem Kater geht der Wunsch schief.
Am Ende sind Herr Hasenfuß und Kater Hatschek zusammen und glücklich.

Das Buch ist entzückend und macht Erwachsenen Freude es zu lesen und die liebevollen Bilder zu betrachten; vor allem wenn man gerade wie ich derzeit ein anspruchsvolles anderes Buch liest.

Freude machen die kleinen Details in dem Buch : die Hufeisensammlung, der Mann mit Glatze der Haare wie eine Angorakatze bekommt etc.

Ich bin neugierig was diverse Kinder in meiner Umgebung zu dem Buch sagen werden ....

Nachtrag 05. März : einer Enkelin und ihrer Großmutter hat dieses Buch sehr gut gefallen.

Sonntag, 9. Februar 2014

Sam Parangi : "Mr. Majestic verbessert sein Karma"

Sam Parangi :
"Mr. Majestic verbessert sein Karma"
original "Mr. Majestic - the Tout of Bengaluru"
2012, Hachette, India
Aus dem Englischen von Nicole Seifert
2014, Rowohlt Polaris
437  Seiten
ISBN 978-3-499-22401-0

In diesem unterhaltsamen Kriminalroman erzählt Haree/Hari Majestic wie er es sich als Internetbetrüger, Anbieter von fiktiven Bollywoodkursen etc. und Detektiv in Südindien durchs Leben schlägt. Er möchte zwar im nächsten Leben besser leben, wofür er jetzt sein Karma verbessern möchte, muß aber in diesem Leben überleben was er mehr schlecht als recht hinkriegt.

Hari hat mehrere heiße Eisen zum Überleben im Feuer : über Internet erfindet er reiche Tote und ergaunert Geld von Angehörigen, er bietet aber auch Kurs für kommende Filmsternchen im Bollywood Business an (die Betriebe gibt es nicht, nur die Bankkonten), und er ist Detektiv.
Als letztes wird er beauftragt eine junge Frau zu finden, die verschwunden ist. Nach vielen Seiten findet er sie versteckt lebend, da sie es geschafft hatte einem Porno zu entfliehen (ihr war gesagt worden, daß sie einen echten Film drehen darf) und sich vor schlagfreudigen Geldgebern in Sicherheit bringen mußte. Geholfen hatte ihr ein alter Bekannter von Hari, der sich mit seichten und sehr schlüpfrigen Filmchens (je mehr x, desto gut) sein Leben verdient hatte.
Hari hat alle Hände zu tun seinen alten klapprigen aber früher juristisch denkenden Onkel zu versorgen, diversen Schlägertrupps zu entkommen, zuzusehen wie Menschen irrtümlich aufgeschlitzt werden und sich um seine Seele in der kommenden Inkarnation zu sorgen. Letztendlich sitzt die gesuchte junge Frau im Flugzeug in ihre Heimat.

Der Stil des Roman ist frech, auch etwas respektlos, sehr unterhaltsam, und hat mich öfters zum laut auflachen beim Lesen gebracht. Der Roman hat Drive und trotz der vielen Seiten nicht langweilig.

Die Geschichte wird aus Sicht von Hari beschrieben. Er ist 27 Jahre jung, ölt seine Haare mit Kokosfett ein und hat eine Haarlocke die er sehr pflegt. Die Menschen um ihn sind aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, meist aber ums Überleben kämpfend. Witzig ist wenn er Menschen mit Tieren vergleicht : die Beschreibung eines Schlägerypen vor dem er sich in Acht nehmen muß als hungriger Tyrannosaurus ist schön griffig.

Essen - v.a. vegetarisches - ist wichtig; der Duft des Essens wird beschrieben, die Standln der Stadt mit diversem Frittierten genauso wie das mitgenommene Fleischlose derjenigen die ein halbwegs fixes Büro haben. Alkohol der unterschiedlichsten illegalen und gemischten Herkunftsstätten hat ebenfalls Platz - es wird frohgemut einheimischer mit renommierten Whiskey gemischt,

Ort der Handlung ist die Stadt Bangalore, die derzeit in Bengaluru umbenannt wird. Bei einer Reise mit Zug, Bus und Taxis schildert er den Süden, das Überleben dort und die Heldenverehrung eines Gurus.
Die Wohnungen, Zimmer, Büros, Hotelzimmer sind meist sehr abgewohnt und angesammelt mit Gegenständen geschildert. Gegenpol ist ein teurer Hotelkasten mit exklusiver Suite; aber hier sind nur wenige der vielen Szenerien.

Es gibt einige Zitate die mir sehr gut gefallen :
"Daß Menschen mit miserablem Karma häufig der Fernseher abhanden kam, war schließlich allgemein bekannt" (S. 5)

In Summe ein witziges Buch, das sehr unterhaltend ist. Viel Vergnügen !

Über den Autor ist zwar eine Vita abgedruckt; es tauchte die Idee auf, daß Sam Parangi eine erfundene Persönlichkeit wie die Internetmachenschaften seines "Hari Majestic" ist.