Montag, 30. April 2012

Elke Marion Weiss : "Triangel"

Elke Marion Weiss :
"Triangel"
Kriminalroman
2012,  Gmeiner-Verlag GmbH, Meßkirch
363 Seiten + Danksagung
ISBN 978-3-8392-1246-2

Das grüne Buch mit Katzencover erzählt eine nette feine etwas böse Geschichte vom Überleben einer Frau - tw. mithilfe von Freunden, oder auch ohne diese.

Die Malerin Emily lernt im Elsaß eine nette schöne liebe Witwe kennen. Josette zieht zu ihr in ein Dorf in Südbaden, da eine Wohngemeinschaft dem schmalen Geldbörsel der beiden Frauen entgegenkommt.
Als die beiden in einem eleganten Restaurant einen bekannten Manager auf der Flucht entdecken, quartieren sie ihn kurzerhand gegen seinen Willen bei ihnen ein. Zunächst widerwillig läßt sich Felix Traunfelder auf den Verwandten Jonathan Brix ummodeln.
Endlich ist Geld in der Kassa und Emily besorgt eine Kreuzfahrt für drei - inklusive 'neuem' Paß für Jonathan bei einem ehemaligen Freund der Kunstuniversität. Nachdem dieser Geld erpressen wollte, erfriert er leider in der klirrend kalten Sylvesterzeit (Pech, daß er kein Auto hatte).
Die Kreuzfahrt muß Emily alleine machen. Dafür kommen sich daheim Josette und Jonathan näher. Jonathan flieht, weil seine Managermachenschaften doch auffliegen und Josette bringt beider Kind Coco auf die Welt.
Wie Emily eine Galerie in Straßbourg erwirbt, Josette und der Maler Cohn umkommen, und was mit der Anwältin Carlotta geschieht, bis Emily am Schluß gemütlich in ihrem Garten sitzt und Husky Wölfchen streichelt sind bitte selber zu lesen.

"Triangel" dürfte das Buch nach einem Geschenk für die kleine Coco heißen. Warum eine schwarze Katze am Cover ist habe ich nicht verstanden - aber es ist eine schöne Katze.

Da Buch habe ich fast in einem Rutsch gelesen. Ein feine, dezent böse Geschichte über das Leben, das Überleben mit Beobachtungen über die Dorf-Idylle und dortige tw. Wichtigmacher. Die Beobachtungen über die Mitmenschen bei Josettes Begräbnis, als Emily mangels Babysitter mit deren Tochter am Arm auftaucht und fast ins Grab abrutscht ist ziemlich komödiantisch geschildert.

Die Menschen und deren Umgebung laufen vor dem Auge ab. Die Schilderungen sind fast wie Aquarelle - duftig, farbig, leicht gezeichnet. Es gibt viele Menschen in diesem Roman - Reisebekanntschaften, Verwandte von Josette, vergangene Liebe von Emily die mit Drive skizziert sind.

Ein gelungenes Buch, das ich gerne weiterempfehle - für verregnete Wochenenden, oder Reiselektüre bestens geeignet.

Samstag, 28. April 2012

Guillermo Martínez : "Der langsame Tod der Luciana B."

Guillermo Martínez :
"Der langsame Tod der Luciana B."
2007 erschienen
original "La muerte lenta de Luciana B."
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
2008 Eichborn AG, Frankfurt
192 Seiten
ISBN 978-3-8218-7200-1

Der Roman beschreibt eine starke Geschichte zwischen zwei Schriftstellern und einer Frau. Es ist keine Liebesgeschichte zwischen drei Menschen, sondern läßt weil zwei komplett verschiedene Sichtweisen von Situationen erzählt werden, einige Fragen offen.

Luciana, eine junge attraktive Frau arbeitet als Sekretärin, sie tippt nach Diktat, für einen gerühmten Schriftsteller. Kloster - er ist nur nur seinen Nachnamen präsent. Während er verreist ist, wird Luciana an einen anderen Schriftsteller mit Gips in Schreibhand über den Verlag vermittelt. Dieser Schriftsteller ist namenlos und beschreibt den Roman in Ich-form, mit seinen Gesprächen/Gedanken/Reflexionen.

Zehn Jahre nach der Aushilfe meldet sich Luciana und ersucht um Hilfe. Es sind mittlerweile ihr Freund, ihre Eltern und auch ihr Bruder verstorben. Sie beschreibt dem Erzähler wie es möglich ist, daß hinter all diesen Todesfällen Kloster steckt/stecken kann. Auf ihr Ersuchen besucht der weniger erfolgreiche Schriftsteller den mittlerweile hochberühmten Bestseller-Schriftsteller um seine quasi Gegendarstellung zu erfahren, die prompt erfolgt. Ob am Ende das Böse siegt, wer oder was das Böse ist oder sein kann, oder ob doch ein zartes happy End mit anderen Menschen möglich ist, sollte selber nachgelesen werden.

Die Geschichte ist spannend. Ich habe den Roman immer wieder zusammengeklappt um mir die Darstellungen und Antworten darauf durchzudenken.
Die Figuren sind klar gezeichnet, leben aber vor meinem geistigen Auge nicht. Eher habe ich das Gefühl ich höre die Geschichte erzählt. Nervig finde ich das Matcho-getue, daß eine Frau letztendlich daran beurteilt wird, ob und welchen Busen sie hat und ob deshalb Liebe möglich ist oder nicht.

Auf die geschilderte Umgebung schien mir weniger geachtet, nur den Urlaubsort Gsell in Argentinien nachgelesen, da mir der Name fremd gewesen war.

Der Roman arbeitet nach. Ich empfehle ihn gerne weiter, weil er mich beim Lesen fasziniert hat.

Mittwoch, 25. April 2012

Moritz Matthies (Pseud.) : "Ausgefressen"

Moritz Matthies (Pseud.) :
"Ausgefressen"
Roman
2012, Scherz Verlag (4. Auflage) des S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt
266 Seiten
ISBN: 978-3-651-00026-1

Ein entzückendes Buch ! In dem Roman erzählt das Erdmännchen Ray, - Entschuldigung - der Erdmann Ray, wie er seinen Wunsch Detektiv zu sein durch Lösung eines Mordes im Tiergarten mit Hilfe des schmudeligen Detektiv Phils umsetzen kann und damit zum Star unter den Tiergartentieren wird.

Ein alter Mann wird vermißt - er wurde im Tiergarten zum letzten Mal gesehen. Ray versucht mithilfe seines Bruders Rufus, einem sehr gebildeten und belesen Erdmännchen, zu helfen. Phil, ein Detektiv mit traurigen Augen und zerknittertem Sakko versteht in seinem Alkoholdussel erdmännisch und es kommt zur Kooperation.
Alle Erdmännchen helfen suchen, kämpfen gegen Ratten, lassen eine Bombe hochgehen und das Elephantengehege droht zu versinken. Leichen werden gefunden - der Vermißte ist nicht dabei. Weitere Hilfe der Erdmännchen kostet den armen Phil ein XPad, eine Enzyklopädie der Philosophie (in Leinen gebunden), und Lebendfutter.
Da im Erdmännchenclan der größere, stärkere, aber ziemlich dumme Bruder Rocky zum Clanführer ernannt wird und nebenbei Rays großer Liebe, der Chincilla-Dame Elsa, ein Chinchilla-mann kurzfristig lieber ist, entflieht Ray dem Tiergarten.
Die Stadt draußen ist voller Gerüche und Gefahren - aber Freund Phil rettet ihn und die Recherche geht weiter. Wie die Geschichte weitergeht, was Ray in der Stadt erlebt, wer im Tiergarten noch hilft den Fall zu lösen und wie die Lösung ist, muß jeder selber nachlesen.

Das Buch ist in Ich-Form aus der Sicht von Ray geschrieben. Wie diese Sicht beschrieben wird, auch Gerüche zuerst im Tiergarten, dann auch in der Stadt ist einfach gute amüsante Unterhaltung. Mich hat Rufus, der belesene Erdmann, zu Lachen gebracht, wenn er Machiavelli etc. von sich gibt. Die Schilderung der Party bei Perserkatze Holly mit allen möglichen Partygästen liest sich wie eine vergnügte Abrechnung mit der Schicki-Micki-Gesellschaft.

Ich habe auf der ersten Seite zu Lächeln angefangen, und es schmunzelnd ausgelesen am gleichen Tag abends auf die Couch gelegt. Der Autor schafft es fast auf jeder Seite mit neuen Ansätzen, Einbringen anderer Tiere oder Seitenhieben durch den sehr belesen Rufus und den Rest des Erdmannclans einen neuen Schwenk zu machen. Die Unterhaltung und auch Spannung bleiben damit erhalten.

In der Klappe vorne des Umschlags werden die Clan-mitglieder vorgestellt, in der Klappe hinten gibt es eine Skizze des Tiergartens und für Wißbegierige einen wissenschaftlichen Auszug über das Erdmännchen (Suricata Suricatta).

Ob das Buch für Kinder geeignet ist, traue ich mich nicht zu entscheiden - ab welchem Alter Vokabel wie 'bumsen' für Mädchen & Buben geeignet sind, werden hoffentlich Menschen die mit Kindern viel zu tun haben, richtig entscheiden.

Ich weiß nur, daß ich dieses Buch einigen Freundinnen und Freunden empfehlen / borgen muß, die Aufmunterung & Aufheiterung gerne annehmen. Lesern mit Tierliebe und viel Humor ist das Buch sehr zu Empfehlen.

Sonntag, 22. April 2012

Bettina Isabel Rocha : "Buenos Aires, mi amor"

Bettina Isabel Rocha :
"Buenos Aires, mi amor"
2011 Verlag Krug & Schadenberg, Berlin
Originalausgabe
336 Seiten
ISBN 978-3-930041-77-0

Der kraftvolle Roman mit einem dunkelroten Cover erzählt eine schöne starke Geschichte in der die Argentinierin Elena auf den Kanarischen Inseln dem - auch künstlerischen - Schicksal ihrer Tante Marí nachgeht.

Lt. Internetrecherche ist "Buenos Aires, mi amor" quasi Teil zwei einer Geschichte, deren erster Teil großteils auf den Kanarischen Inseln spielen dürfte (und den ich nicht gelesen habe).

Die zweiundvierzige Elena kommt nach Suche nach Gemälden und Lebensgeschichte ihrer Tante Marí auf Gran Canaria wieder nach Buenos Aires zurück. Hier geht ihre langjährige Beziehung mit Charidad, einer Künstlerin, in die Brüche - sie hat endlich ihren Ausdruck gefunden, um die Greueltaten der argentinischen Junta an ihrer Schwester zu verarbeiten und sich frei zuspielen.
Elena wäre nun frei für ihre Liebe zu Ines - einer Deutschen mit spanischen Wurzeln, die sie sehr bei der Suche nach Spuren der künstlerischen Tante unterstützt hat.
Esperanza, eine energische Galeristin auf  Gran Canaria, findet eine Spur dieser Künstlerin, die nach Buenos Aires führt. Wie die Kunstlandschaft in Buenos Aires geschildert wird, macht Spaß zu lesen.
Schließlich finden die Frauen heraus, daß Tante Marí eine Frau geliebt hatte, die mit einem homosexuellen Mann verheiratet war - beide hatten ihren (traurigerweise notwendigen) Deal daß der Schein für die Karriere und die v.a. die Gesellschaft gewahrt würde. Ein Erpresser hatte Marí gezwungen ihre Bilder abzutreten, die er als seine verkaufte. Unter dem Druck wechselte ihr Stil von farbenfrohen, fröhlichen Gemälden, zu dunkeln und düsteren, die nicht schlecht bis gar nicht verkaufbar waren.
Parallel zu der eher unglücklich verlaufenden Liebe zwischen Tante und verheirateter Frau des Diplomaten, trauen sich Elena und Ines mit Hindernissen ihrer Liebe zu trauen.

Der Roman ist auf deutsch geschrieben, hat aber jede Menge argentinischer/kastillanischer Floskeln, die sogleich übersetzt werden, im Text.

Obwohl es um viel Liebe (erfüllt oder unerfüllt, einfach oder kompliziert) geht, sind die Geschichten der Liebe mit viel Energie und erfreulicherweise ohne Kitsch erzählt. Die Erotikszenen zwischen den Frauen sind mit viel Drive geschrieben

Die Frauen, die Menschen, die Figuren stehen ziemlich lebendig vor mir. Alle haben schöne Kanten. Männer steigen als Figuren eher schlecht aus - als weich, als Erpresser, als un-kreativ. Die Szenerien wie einzelne Viertel der Stadt Buenos Aires sind mit viel Charisma geschildert, der Ausflug nach Montevideo lädt ein ihn nachzuvollziehen und die Beschreibungen des Deltas mit Fischerbooten gefiel mir sehr gut.

Daß die Verbrechen der Junta weder aufgeklärt noch gesühnt wurden, ist großes Thema. Aber auch der Seitenzweig indem die spanischen Eltern von Ines die Zeit von Franco nicht aufarbeiten können oder wollen, ist angerissen.
Die Nachbeben der Wirtschaftskrise 2001 in Argentinien werden beschrieben, mit dem Elend derer die damals viel verloren hatten, neben denen die niemals etwas besaßen - keinem von beiden wird viel Chance zum Neuaufbau gegeben.

Etwas Schwierigkeiten hatte ich mich den genauen Schilderungen des argentinischen (nicht europäischen) Tangos, da ich weder mit den Feinheiten der Drehungen noch Wechsel der Aufteilung der Tanzpartner vertraut bin.

Ich habe das Buch sehr genossen. Ich kann es jedem Leser / jeder Leserin empfehlen die schöne kreative Frauenenergie genießen kann und will.

Dienstag, 17. April 2012

Gabriele d'Este (Pseud.) : "Gotteslohn"

Gabriele d'Este (Pseud.) :
"Gotteslohn"
Originalausgabe 2010
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
230 Seiten
ISBN 978-3-442-73980-6

Dieser Roman ist wirklich nette, schnell zu lesende Krimi-unterhaltung, mit einem Plot der in den Vatikan hineinspielt.

Der Bäcker stirbt eines natürlichen Todes, in Umgebung seines Hauses werden drei Herren aus dem klerikalen Umfeld ermordet und ihnen die Zungen herausgeschnitten, die schöne Witwe kümmert sich um ihren Sohn dem eine Musikerkarriere vorschwebt und die unbeachtete dicke Tochter geht auf die Suche nach dem Geld, dessen Kontoziffern ihr der Vater am Totenbett verraten hatte. Bis die Spur des Geldes zur Vatikanbank führt, dauert es und es gibt einige Störfaktoren. Bis dahin erfreut sich des Bäckers Schwagers einer Beziehung, die er geheimzuhalten trachtet.

Rom, der Vatikan, die Menschen sind rasch und gut gekennzeichnet. Die Geschichte hat Zug drauf, aber es ist genug Raum für die Schilderungen damit der imaginative Film gut vor den Augen laufen kann.

Ich habe den Großteil des Buches im Wartezimmer beim Arzt gelesen, und mich gut unterhalten (und abgelenkt). Den Krimi kann ich Lesern, die gerne rasche Krimis mögen, gut empfehlen.

Sonntag, 15. April 2012

Lilja Sigurdardóttir : "Zwölf Schritte"

Lilja Sigurdardóttir :
"Zwölf Schritte"
2009 Bjartur, Reykjavík
original "spor"
aus dem isländischen übersetzt von Ursula Giger und Angela Schamberger
2011, Rowohlt Taschenbuch Verlag
Deutsche Erstausgabe
247 Seiten
ISBN 978-3-499-25658-5

Dieser Debütroman ist ein spannender Thriller, bei dem sich ein Serienmörder unter anonymen Alkoholikern herumtreibt.

Idunn bekommt ihren ersten großen Fall bei der Polizei und fragt Magni, ihren Exmann um Hilfe.
Magni ist Übersetzer von Romanen, und war nach dem Tod ihres gemeinsamen einwöchigen Kindes in die Alkoholsucht abgeglitten. Er ist gerade aus dem Krankenhaus nach gelungenem Entzug entlassen worden und muß sich im Leben ohne Alkohol behaupten.
Es sind einige Leichen gefunden worden, deren gemeinsamer Nenner Treffen bei den Anonymen Alkoholikern sind. Da diese treffen anonym sind, soll Magni, der diese Treffen besuchen muß, sich dort umhören. Ihm ist das Spion sein unangenehm, und nur die Hoffnung daß doch wieder eine Beziehung mit Idunn möglich sein könnte, veranlaßt ihn mitzumachen.

Bei den Treffen der Anonymen Alkoholikern gibt es als spirituelle Unterstützung die 12 Schritte, bei denen es darum geht zur eigenen Schwäche zu stehen, Fehler gutzumachen zu versuchen aber auch spirituelle/christliche Hilfe anzuerkennen und anzunehmen. Die Treffen sind unterschiedlich religiös oder einfach nur als tägliche Zusammentreffen geschildert.

Die bisherigen Morde werden durch Magnis Hilfe unterschiedlichen Stufen dieses 12-schritte-programms zugeordnet. Leider passieren noch einige Übergriffe und Morde die aus dem näheren Umfeld von Magni sind, bis Idunn und Megan, eine norwegisch-amerikanische Profilerin, und die Polizei Magni aus der Gewalt des Serienkillers (er wollte Gott helfen) befreien.

Der Roman ist in Ich-Form geschrieben und schildert wie Magni mit den Polizeiphotos, den Anonymen Alkoholikern - Treffen und auch seiner Freizeit umgeht, um möglichst nicht wieder dem Alkohol zu verfallen. Die anderen Personen bewegen sich wie Planeten um ihn herum - auch die Auflösung des Falles wird ihm erzählt.
Die Schilderungen des täglichen Kampfes gegen den Wunsch nach Alkohol und welche Strategien Magni entwickelt - z.B. kochen und essen - sind faszinierend.

Die Menschen sind schön geschildert - Idunn, Megan auch sein Bruder Egill, die attraktive Frida, der sympathische vertrauenerweckende Geir, der handfest Atli oder der Polizist Njördur. Islands Weite ist bei einem Ausflug geschildert, als die beiden im Schnee stecken bleiben und dann im Konvoi mit anderen Autos hinter einem Schneepflug herfahren dürfen.

Der Krimi ist empfehlenswert und spannend geschrieben - ich hatte einen anderen 'Mörder' in Verdacht gehabt, muß aber gestehen, daß ich dieses Buch nur bei Tag gelesen habe.

Sonntag, 8. April 2012

Viktorija Tokarjewa : "Der Baum auf dem Dach"

Viktorija (Samojlovna) Tokarjewa :
"Der Baum auf dem Dach"
original "Derevo na kryse"
aus dem Russischen von Angelika Schneider
2010, Diogenes Verlag AG Zürich
Roman
191 Seiten
ISBN 978-3-257-06749-1

Das Buch ist ein starker intensiver Roman, der sich meiner Ansicht nach mehr auf die Frauen konzentriert. Die Geschichte und die Personen haben mich fasziniert.

Im Mittelpunkt steht Vera. Sie stammt aus einem kleinen Dorf, möchte Schauspielerin werden, heiratet in eine Professorsfamilie und überlebt als einzige Hunger und Kriegswirren in Leningrad. Daß ihr damaliger Mann sie vor die Tür setzt, weil er ihre Lebensmittelkarten will, versteht sie sogar.
Nach dem Krieg arbeitet sie wieder im Theater, lebt heimlich in den Kulissen, hat eine Affäre mit einem jungen sehr kreativen, aber kranken Mann und wird gezwungen das/sein/ihr Kind abzutreiben.
Sie lebt weiter in den Kulissen und lernt den zehn Jahre jüngeren Alexander kennen. Wider Erwarten wird sie wieder schwanger, bekommt das Kind diesmal und mit Unterstützung von Alexanders Mutter, die glücklich ist einen Enkel zu haben, bauen die zwei 2 Frauen eine Familie um die Männer auf.
In der Zeit mit Alexander entstehen viele Filme und Vera wandelt sich von einer bläßlichen in eine starke, intensive, sehr russische Filmschauspielerin. Wenn sie nicht filmt oder spielt, sorgt sie für den reibungslosen Ablauf des Haushalts.
Alles könnte gut gehen, wenn Alexander nicht auch andere Frauen sehr sehr gut gefallen. Meist kommen und gehen sie. Vera versteht, daß ihr Mann hin und wieder inspirierende Abwechslung braucht. Eine aber wird aber wirklich wichtig : sie schreibt Drehbücher, ist verheiratet und hat eine Tochter. Wie die Geschichte weitergeht, wie sich wer entscheidet, oder nicht entscheidet, dazu sollte man das Buch selber lesen.

Mich haben die Schilderungen der Frauen in den Bann gezogen - Vera (Schauspielerin, Gattin, Mutter, Hausfrau, kümmert sich um alles), Margo - Alexanders Mutter (charismatische Frau die auf ihr Aussehen schaut, Chorleiterin, zieht gerne die Fäden, liebt ihren Sohn und ihr Enkelkind), Lena (schreibt Drehbücher, erhält ihre Familie, schreibt Bücher und Erzählungen, liebt verheirateten Mann auf dessen Entscheidung sie wartet), Rabja - Rebekka (Sohn von Iwan, Enkelin von Vera und Alexander, Kind einer Frau aus dem Dorf die Alexander und Vera nicht gut genug war, sie gibt Alexander Hoffnung).

Immer wieder blitzen die Situationen aus dem Regime der Sowjetunion auf, bei denen die Menschen in Freiheit und Kreativität gehemmt werden. Sie dürfen oder auch nicht ins Ausland, Filme werden gezeigt oder landen in der Schublade, Bücher werden veröffentlicht oder landen in der Schublade, irgendwelche Beamte greifen ein. Nach dem 'Prager Frühling' wurde es für die Kreativen enger, die 'Perestroika' gab allen Hoffnung und Aufschwung.

Mich hat der Roman fasziniert und in den Bann gezogen. Einzelne Bilder arbeiten noch in mir nach. Ich kann das Buch nur empfehlen.

Donnerstag, 5. April 2012

Jaromír Dlouhý : "Der Losverkäufer und andere Los-G'schichten"

Jaromír Dlouhý :
"Der Losverkäufer und andere Los-G'schichten"
2004, Erstausgabe Editio Moravia Brno/Brünn
"Povídky s losem, Loosem a jiné loskominy"
aus dem Tschechischen vom Autor übersetzt
150 Seiten
ISBN 978-3-8334-7005-9

In diesem Band sind zwölf Geschichten erzählt, die sich entweder direkt mit dem Wort 'Los' auseinandersetzen oder der zweiten Bedeutung Schicksal. Manche Geschichten sprechen mich sehr an, andere gar nicht.

'Ein Gespräch über den nicht anwesenden Herrn Loos' ging mir sehr unter die Haut, da es die hoffentlich fiktive Geschichte erzählt, daß das Ehepaar Loos vor dem zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei fliehen mußten. Auf der letzten deutschen Bahnstation meint Herr Loos die letzten Mark die er noch hat ausgeben zu müssen und wird beim Zurückgehen zum Zug - da die Reisepapiere dort und nicht bei ihm sind - verhaftet und ward nie mehr gesehen. Jahrzehnte später beschließt Frau Loos nicht um die Rückerstattung des Vermögens zu klagen, es bringt ihr den Mann nicht zurück.

'Caprice Viennoise' erzählt die Geschichte eines begabten tschechoslowakischen Violinstudenten dem eine wunderbare Geige anvertraut wird, als er in Wien als Gaststudent sein darf. Der junge Mann verliebt sich aber, und zwar in ein Mädchen des ältesten Gewerbes. Als er Geld braucht versetzt er die Geige. Sie borgt ihm das Geld um sie zurückzukaufen und wird - weil sie sie das Geld gestohlen hatte - verhaftet. Das bekommt der junge Mann nicht mehr mit. Erst viele Jahre später kommt er wieder nach Wien und geht zu der alten Adresse - dort ist wieder ein Mädchen des ältesten Gewerbes.

In 'Los Angeles' träumt ein Mädchen vom Auswandern nach Los Angeles. Auswandern vom Unfalltod des Vaters, der immer plärrenden kleinen Schwester, der Verzweiflung über die Armut der Mutter. Als die Mutter dann einen netten Mann heiratet und vieles besser wird, wird das Auswandern verschoben - aber nicht auf immer.

'Losos iz Kumysom' und 'Die Erzählung mit dem "Losos" und so weiter und so fort' sind Teil eins und Teil zwei der Geschichte eines Korrepetitors in der Oper, der bei einer verbotenen Liebes- und Eifersuchtsgeschichte hilfreich ist und dafür in Jatusk, in Sibirien erstmals eine Oper dirigieren darf. Mit ihm reist eine junge Sängerin, in die der junge Mann schon lange verliebt ist. Nach Beschreibungen der Weißen Nächte und kurzer Geschichte der Wolgadeutschen, gibt es ein glückliches (Familien)ende. Kumys ist übrigens Stutenmilch die in Sibirien getrunken wird, und mit Lachs und Gewürzen ein herrliches Gericht ergibt.
'Abends in Laos' ist quasi Teil 3, denn hier sind die Sorgen der musikgebenden Eltern um ihre Tochter, die ins Lokal Laos geht und denen die Eltern einen jungen sympathischen Tenor zuerst als Detektiv nachschicken.
'Regisseur Loskot, der Opernerneuerer, mein Herzkollaps und die Derniere' ist Teil 4 in der Familiengeschichte. Und - es ist auch eine Auseinadersetzung mit dem hier eher sinnlosen Regietheater, das Operninhalte brutal und gegen die Musik modernisiert. Die Hoffnung daß eine Geschichte auf der Bühne so erzählt werden darf wie sie geplant und komponiert war lebt allerdings weiter.

In 'Unterwegs nach Losiny' ist ein Wort-zerklaubernder Reisegenosse im Zugabteil. Dieser sogenannte Wissenschaftler erklärt Worte auf genau zwei Methoden (eine dritte gibt es per Defitionen nicht). Die Worte sind Prag, Ahoi, der Name Kubik und anderes - ziemlich verrückte aber unterhaltsame Ansätze zwischen Ethymologie und Geschichte werden hier präsentiert.

Schön ist für mich daß Musik als Thema immer wieder wichtig ist.
Als an europäischer Geschichte interessierter Mensch ist es für mich spannend, daß die Geschichten tw. zur Zeit des 'eisernen Vorhangs' spielen und hier mit Hinweisen wohin Reisen möglich ist und wohin nicht (auch innerhalb des Ostblocks eigenartig) ein interessantes Licht auf die Zeit werfen.

Die Erzählungen sind unterschiedlich, genauso wie die Menschen für mich manchmal greifbar sind (oder nicht). Ich kann das schmale Büchlein jedem Leser empfehlen, der entweder mit Musik etwas anfangen kann und will, der sich für europäische Geschichte im 20. Jahrhundert interessiert oder einfach mit Wortspielereien unterhalten werden möchte.

Erzählungen in ihrer Reihenfolge:
Faust und Klärchen
Ein Gespräch über den nicht anwesenden Herrn Loos
Die Losung, oder Elch auf der Waldlichtung
Caprice Viennoise
Losos iz Kumysom
Los Angeles
Die Erzählung mit dem "Losos" und so weiter und so fort
Abends in Laos
Unterwegs nach Losiny
Regisseur Loskot, der Opernerneuerer, mein Herzkollaps und die Derniere
Freiherr Heinrich Otto von Los
Über die letzten Dinge des Menschen