Sonntag, 31. März 2013

Antonio Skármeta : "Mit brennender Geduld"

Antonio Skármeta :
"Mit brennender Geduld"
Roman
original "Ardiente paciencia", 1984
aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen
1985, erstmals bei Piper Verlag, München
2000, ungekürzte Taschenbuchausgabe
143 Seiten inkl. 4 Seiten Prolog und 2 Seiten Epilog
ISBN 3-492-22678-7

Der wunderbare dichte Roman, schildert die Freundschaft zwischen den berühmten Dichter Pablo Neruda und dem jungen, einfachen Fischersohn Mario, der lieber als Briefträger arbeitet.

Pablo Neruda ist der einzige in dem Dort am Meer der Post erhält. Mario traut sich ihn stotternd anzusprechen. Der große Dichter hilft ihm die große Liebe Marios zu erringen (sie heißt Beatriz). Nach Allendes Wahlsieg wird Neruda Botschafter in Paris. Als der große Dichter den Nobelpreis verliehen erhält, organisiert Mario in dem Dorf an Meer eine riesengroße Fiesta, bei der ausnahmsweise niemand merkt daß Boykotte, Streiks und Nahrungsmittelunterversorgung mittlerweile an der Tagesordnung stehen. Neruda kehrt krank zurück, Allende wird getötet und das Militär übernimmt die Macht, die Kontrolle - aber Mario schafft es den Dichter noch einmal vor dem Tod zu besuchen. Nach dem Begräbnis wird auch Mario verhaftet.

Neben der Freundschaft zwischen Neruda und Mario ist die große Liebesgeschichte zwischen Mario und Beatriz, inkl. Schwierigkeiten durch Institution Schwiegermutter, sinnlicher Gegenpol. Die starke sinnliche Erotik der Schmuseszenen und mehr sind deutlich, die Spannung schön beschrieben.

Humorvoll finde ich wie Neruda Metaphern beschreibt und versucht dem einfach gestrickten Menschen vor ihm Ideen, Bilder und Anregungen zu eigenen Metaphern zu vermitteln (nicht nur seine einzusetzten). Knochentrocken ist die Schwiegermutter, die mit Metaphern ebenfalls, aber handfest, umzugehen weiß. Mario hat am Ende des Buches auch ein Gedicht geschrieben.

Berührend ist die Idee, in der Neruda Mario ein Kassettengerät aus Paris schickt und ihn ersucht ihm die Töne der Heimat aufzunehmen (die Möwen, das Meer, die Glocken, etc.), weil er im Winter vom Schnee eingeschlossen Paris Heimweh hat.

Der Titel des Romans ist einem Gedicht Rimbauds entnommen. Dieses Gedicht hat Pablo Neruda anläßlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1971 an ihn in seiner Rede zitiert.

Der Druck des Buches ist netterweise in einer etwas größere Schrift (Brille suchen entfällt).

Ein eindrücklicher schöner poetischer Roman, der mich gepackt und in seinen Bann gezogen hat. Die Beschreibungen gingen unter die Haut. Ein wunderbares Buch !

Antonio Skármete wurde am 7. November 1940 in Antofagasta in Chile geboren. Seine Eltern waren aus Brac, dem heutigen Kroatien nach Chile gekommen. Als Anhänger Salvador Allende mußte er Chile verlassen und lebt in West-Berlin. Er war Dozent für Lateinamerikamische Literatur und schrieb auch Drehbücher. 1989 bis 2000 lebte er wieder in Chile, bis er zwischen 2000 und 2003 als Botschafter nach Berlin gesandt wurde. Im chilenischen Fernsehen präsentiert er Buch-Neuerscheinungen.

Dienstag, 26. März 2013

Leonardo Sciascia :"Der Tag der Eule"

Leonardo Sciascia :
"Der Tag der Eule" - ein sizilianischer Kriminalroman
original 'Il giorno della civetta'
1961, Giulio Einaudi editore, Turin
erste deutsche Übersetzung : 1964, Walter-Verlag, Olten
1998 Paul Zsolnay Verlag, Wien
2009, Wagenbachs Verlag Taschenbuch 619
aus dem Italienischen von Arianna Giechi
131 Seiten
2 Seiten Nachbemerkung, in der darauf hingewiesen wird, daß Ähnlichkeiten von Personen und Ereignissen mit lebenden Personenen zufällig sind
2 Seiten Anmerkungen, die sich auf Titel der Polizei, und Personen oder Ereignisse beziehen die kurz genannt werden
ISBN 978-3-8031-2619-1

Der Bauunternehmen Colasberna möchte in einen Bus steigen und wird erschossen. Bis die Polizei in den sizialinischen Dorf am Tatort ist, sind alle verschwunden und niemand kann sich an  den Mörder erinnern. Capitano Bellodi aus dem Norden Italiens kommend, ist ein ruhiger besonner gescheiter Mensch und wird mit der Untersuchung beauftragt. In zähen Gesprächen, und mit teilweise gefälschten Geständnissen verlockt er den Mörder und seinen Komplizen ihre Taten zumindest kurzfristig zuzugeben. Hauptgeschichte ist aber das Entdecken, daß Geldleihe und gute Freundschaft zu einem ziemlich Machtkomplex bilden. Das Netzwerk läßt die Gständisse an wunderbar konstruierten Alibis zerplatzen. Parallel wird die Geschichte eines verschwundenen Nachbarns geschickt hineinerzählt.
Das Buch ist nicht einfach und rasch gemütlich zu lesen. Die Sätze sind konzentriert und bei manchen Dialogen wird die Spannung sehr geschickt aufgebaut, sodaß ich zurückblättern und nochmals nachlesen mußte um den Schlagabtausch der Parteien zu verfolgen.

Es ist ein Italienbuch, das ohne Landschaftsschilderungen, oder Fokus auf wunderbares Essen auskommt. Es geht um Menschen, um Gruppen und Gruppendynamiken. Faszinierend hartherzig wie Don Mariano die Menschen in fünf Guppen aufteilt: die Menschen (sehr selten), die Halbmenschen (selten), die Menschleins. die Arschkriecher und die Blablablas (Anm: hier hätte ich gerne das italienische Originalwort gelesen)(die meisten).

Der Titelgebung bezieht sich auf ein Shakespeare Zitat. In Heinrich VI heißt es "... so wie bei Tag die Eule ...."

Der Roman ist 1968 verfilmt worden - mit Franco Nero als Capitano Bellodi, Lee C. Cobb als Don Mariano und Claudia Cardinale als Rosa (die ich im Buch nicht gefunden habe)

In Summe ein empfehlenswertes Buch, jedem Italien-Fan sowieso aber auch politisch und gesellschaftlich interessierten Menschen vermutlich ein Genuß sein wird.

Leonardo Sciascia (* 8. Jan.1921 Sizilien - + 20. Nov.1989 Palermo) war zuerst Volkschullehrer, eher er Schriftsteller wurde. Er galt als einer der ersten der Mafia-Romane schrieb. 1975 bis 1997 war er für die  PCI /Partito Comunista Italiano Abgeordneter, trat dann zurück und  zog 1978 fürdie Radikalen (Partito Radicale) ins Europaparlament.

Montag, 11. März 2013

Claudia Pineiro : "Betibú"

Claudia Pineiro :
"Betibú"
Roman
original "Betibú"
2011, Alfaguara Argentia, Buenes Aires
aus dem Spanischen von Peter Kultzen
2013, Unionsverlag
333 Seiten
ISBN 978-3-293-00453-5

In diesem Kriminal-Roman wird in schöner Sprache mit schöner und dichter Stimmung eine Geschichte um Frauen um die 50, Schriftstellerei versus Journalismus und Morde die auf uraltes Unrecht zurückgehen geschildert. Die Schilderungen der Menschen und Umgebung ziehen in den Bann und in das Buch fast hinein.

Nurit Iscar, eine schöne 50-jährige Frau, geschieden, 2 Söhne, ehemals erfolgreiche Krimischriftstellerin, wird nach drei Jahren Mißerfolg wegen ihres gescheiterten Versuchs einen Liebesroman zu schreiben beauftragt über einen Mord in einer mehr als geschützten Wohnsiedlung, mit dem irreführenden Namen 'La Maravillosa' zu berichten. Ihr Ex-Liebhaber, Herausgeber einer wichtigen Zeitung, überredet sie dazu. Er gibt ihr einen jungen, noch unbedarften Journalisten zur Seite, der sich Jaime, einen Journalisten der alten Schule, der abserviert werden soll, als Hilfe mitnimmt. Das Team erkennt zunehmend, daß einige Menschen in den Mord verwickelt sind und bereits einige aus einer ehemaligen Männerfreundschaftsrunde Unfällen zum Opfer gefallen sind. Ihnen wird auch einiges klar, und sie haben Glück, daß sie nicht in sogenannte Unfälle produziert durch Mächtige verwickelt werden.

Es ist gespenstisch wie die Kontrollen an der Eingangspforte zu der geschützten Wohnsiedlung geschildert werden. Alles wird kontrolliert: nicht nur Ausweis, sondern auch Autoversicherung und Handy. Die, die dort arbeiten dürfen, werden noch mehr kontrolliert. Innen drin leben die Menschen in einer großzügigen Anlage mit viel Comfort. Daß auch Menschen in Buenos Aires leben, die viel weniger haben, wird aus dem Roman nicht ausgespart.

Schön sind die Personen geschildert, v.a. die Freundinnen um Nurit, die ebenfalls Anfang 50 sind. Die gruppendynamischen Aktionen und wie wer mit auftauchenden Männern umgeht ist humorvoll geschildert. Politik kommt ins Spiel wenn eine dieser Freundinnen, die Schauspielerin ist, meint, daß sie sich nicht mit einem Polizisten treffen (und in ihn verlieben) darf, weil sie vor 30 Jahren in revolutionärem sozialistischem Theater in Buenos Aires gespielt hat.

"Betibú" ist die Aussprache einer sehr weiblichen Comicfigur aus den 30-er Jahren : Betty Boop. Die Hauptfigur des Romans hat diesen Kosenamen erhalten, weil sie mit ihren schwarzen Locken und großen Augen und weiblicher Ausstrahlung dieser Figur entsprochen hat/noch entspricht. Der Exkurs im Buch auf die Weiblichkeit dieser Comic-figur, die Kontroversen um die gezeigte Fraulichkeit und auch Veränderungen mit steigendem Puritanismus sind faszinierend.

Schön fand ich in dem Buch den Bezug auf andere Bücher bzw. Autoren aus bekannter Literatur und mir bis dato unbekannten lateinamerikanischen Autoren. Eine kleine Lese-Liste für mich daraus entstanden.

Ich habe das Buch mit seinen Schilderungen und seinem Plot sehr genossen - auch wenn es kein Happy End im Sinne der Gerechtigkeit gibt, sondern 'nur' menschliches Zusammenfinden.