Sonntag, 8. April 2012

Viktorija Tokarjewa : "Der Baum auf dem Dach"

Viktorija (Samojlovna) Tokarjewa :
"Der Baum auf dem Dach"
original "Derevo na kryse"
aus dem Russischen von Angelika Schneider
2010, Diogenes Verlag AG Zürich
Roman
191 Seiten
ISBN 978-3-257-06749-1

Das Buch ist ein starker intensiver Roman, der sich meiner Ansicht nach mehr auf die Frauen konzentriert. Die Geschichte und die Personen haben mich fasziniert.

Im Mittelpunkt steht Vera. Sie stammt aus einem kleinen Dorf, möchte Schauspielerin werden, heiratet in eine Professorsfamilie und überlebt als einzige Hunger und Kriegswirren in Leningrad. Daß ihr damaliger Mann sie vor die Tür setzt, weil er ihre Lebensmittelkarten will, versteht sie sogar.
Nach dem Krieg arbeitet sie wieder im Theater, lebt heimlich in den Kulissen, hat eine Affäre mit einem jungen sehr kreativen, aber kranken Mann und wird gezwungen das/sein/ihr Kind abzutreiben.
Sie lebt weiter in den Kulissen und lernt den zehn Jahre jüngeren Alexander kennen. Wider Erwarten wird sie wieder schwanger, bekommt das Kind diesmal und mit Unterstützung von Alexanders Mutter, die glücklich ist einen Enkel zu haben, bauen die zwei 2 Frauen eine Familie um die Männer auf.
In der Zeit mit Alexander entstehen viele Filme und Vera wandelt sich von einer bläßlichen in eine starke, intensive, sehr russische Filmschauspielerin. Wenn sie nicht filmt oder spielt, sorgt sie für den reibungslosen Ablauf des Haushalts.
Alles könnte gut gehen, wenn Alexander nicht auch andere Frauen sehr sehr gut gefallen. Meist kommen und gehen sie. Vera versteht, daß ihr Mann hin und wieder inspirierende Abwechslung braucht. Eine aber wird aber wirklich wichtig : sie schreibt Drehbücher, ist verheiratet und hat eine Tochter. Wie die Geschichte weitergeht, wie sich wer entscheidet, oder nicht entscheidet, dazu sollte man das Buch selber lesen.

Mich haben die Schilderungen der Frauen in den Bann gezogen - Vera (Schauspielerin, Gattin, Mutter, Hausfrau, kümmert sich um alles), Margo - Alexanders Mutter (charismatische Frau die auf ihr Aussehen schaut, Chorleiterin, zieht gerne die Fäden, liebt ihren Sohn und ihr Enkelkind), Lena (schreibt Drehbücher, erhält ihre Familie, schreibt Bücher und Erzählungen, liebt verheirateten Mann auf dessen Entscheidung sie wartet), Rabja - Rebekka (Sohn von Iwan, Enkelin von Vera und Alexander, Kind einer Frau aus dem Dorf die Alexander und Vera nicht gut genug war, sie gibt Alexander Hoffnung).

Immer wieder blitzen die Situationen aus dem Regime der Sowjetunion auf, bei denen die Menschen in Freiheit und Kreativität gehemmt werden. Sie dürfen oder auch nicht ins Ausland, Filme werden gezeigt oder landen in der Schublade, Bücher werden veröffentlicht oder landen in der Schublade, irgendwelche Beamte greifen ein. Nach dem 'Prager Frühling' wurde es für die Kreativen enger, die 'Perestroika' gab allen Hoffnung und Aufschwung.

Mich hat der Roman fasziniert und in den Bann gezogen. Einzelne Bilder arbeiten noch in mir nach. Ich kann das Buch nur empfehlen.

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