Mittwoch, 13. Mai 2015

Verena Boos : "Blutorangen"

Verena Boos :
"Blutorangen"
2015, Aufbau Verlag
398 Seiten, 2 Seiten Inhaltsverzeichnis, 3 Seiten Dank und Quellen
ISBN 978-3-23594-5

Dieser dicht geschriebene Roman erzählt springend zwischen den Jahren 1939 (folgende), 1990 und 2004 spanisch-deutsche Kriegsgeschichte mit französischen und russischen Elementen in zwei (Familie Maite) und drei (Familie Carlos) Generationen.

Maite (Maria Theresa) und Carlos lernen einander in Bayern am Berg kennen. Sie ist seit einigen Monaten Austauschstudentin aus Valencia in München. Bei einem Familienfest lernt sie den Großvater Antonio kennen, und sieht ein Photo in der Küche in einer Uniform, die auch ihr Vater auf einem Photo trug, das sie verbotenerweise gesehen hatte.
Ab hier entrollt sich die Geschichte nach vorne und hinten für Maite und Carlos, für Franco-Spanien, für eine spanische Truppe die Hitler zu Hilfe geschickt wurde und Leningrad belagerte, für Franco-Gegner die in Frankreich interniert und Hitler ausgeliefert wurden, und Greuel zwischen Franco-treuen und Franco-Gegnern die erst spät aufgeräumt werden (können).

Carlos Großvater Antonio mußte mit seiner Frau Julia und Tochter Pau(l) fliehen; er geriet nach Deutschland, fand Unterschlupf und Arbeit am Bauernhof, Frau und Sohn kamen nach dem Krieg nach; Paul heiratete Margot, eine wunderbare Frau die die Familie zusammenhielt, nachdem Julia ihre Couture wünsche in Paris umsetzte. Sohn Carlos brachte Maite mit; Antonio hilft Maite spanische Hintergrundgeschichte zu verstehen. Am Schluß bricht auf, daß Antonio seinen ermordeten Vater begraben und dann wieder entdecken half.
Maites Vater war bei Blauen Division, dann bei der Guardia Civil. Seine große Liebe hat seinen Bruder Luis geheiratet. Mit Strenge und Disziplin erzog Francisco seine zwei Söhne und zwei Töchter; nur Maite rebelliert. Erst am Schluß entdeckt Maite, daß in ihrer Familie auch Franco-Feinde waren, denn ihre Mutter Isabel hatte ihre komplette Familie verloren und erst durch Francisco wieder einen sicheren Platz im Leben gefunden.

Die Personen die am meisten begleitet werden sind die beiden alten Herren Antonio und Francisco mit ihren gegenseitigen Werten und Leben, Maite die recherchiert und Margot die zusammenhält. Carlos tut gut, Pau(l) schweigt und ist seltsam abwesend, Isabels Wärme und ihre Werte kommen erst spät zur Geltung.

Die historisch belegte Tatsache der "Blauen Division" ('División Azul'), in der Franco Hitler wirklich 40.000 Menschen zur Hilfe gegen Stalin zur Unterstützung sandte, waren mir bis dato unbekannt. Die Schilderungen rund um die Belagerungen Leningrad in der fürchterlichen Kälte sind eindrücklich geschildert (Im Nachwort ist die Quelle angegeben).
Daß in Frankreich die Flüchtlinge aus Franco-Spanien interniert worden waren und an Deutschland Richtung Mauthausen weitergingen, war auch neu (Quelle Nachwort).
In Spanien werden seit den 2000-er Jahren nach Informationen Überlebender die ungeweihten Massengräber gesucht und versucht den Familien zumindest einen Teil der Fragen zu beantworten.

Mich hat das Buch fasziniert. Ich habe zwei Monate daran gelesen, wobei ich zwischendurch unterhaltsamere "leichtere" Kriminalromane als Gegenpol las.
Obwohl die Geschichte spannend ist und ich wissen wollte wie das Ende sein wird, ist der Stil der Sprache und Bilder im Kopf für mich schön, daß ich mir auch dafür die Zeit nahm. Beispielsweise : "Republik Maite" (S.44), "hing ihr die Verlorenheit in den Wimpern wie Schnee" (S. 304) etc.

Die titelgebenden Orangen sind das Verbindende, denn die Familie Maites hat eine Orangenplantage bei Valencia und Carlos Großvater findet nach dem Krieg Arbeit am Großmarkt in München und baut dort einen Obst-Gemüse-Handel (inklusive Orangen) auf. Orangenpapier gab es um den zweiten Weltkrieg und noch lange danach; für die älteren Herren bilden sie wertvolle Erinnerungsstücke.

Mich hat dieser Roman, der mir neues aus spanischer (und europäischer) Geschichte beibrachte, sehr berührt. Ich wünschen allen Lesern und Leserinnen daß ihnen dieses Buch und seine Sprache ebenso gut gefällt wie mir.

Verena Boos wurde 1977 in Rottweil (Deutschland) geboren. Sie studierte Anglistik, Soziologie und promovierte in Zeitgeschichte und arbeitet als Journalistin, Referentin und Autorin. Sie lebt in Frankfurt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen