Lea Singer :
"Konzert für die linke Hand" - Romanbiographie über Paul Wittgenstein
2008, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
2011, Deutscher Taschenbuch Verlag
448 Seiten + 5 Seiten Epilog +5 Seiten Komponisten und Werke Paul Wittgenstein gewidmet + 1 Seite Familie Karl und Leopoldine Wittgenstein
ISBN 978-3-423-21323-3
Anhand des zweitjüngsten Sohnes und späteren Pianisten Paul Wittgenstein erzählt dieser Roman über das Familien- und Gesellschaftsleben des Heranwachsenden, den ersten Weltkrieg bis zum Zeitpunkt als der Wien/Österreich/Europa wegen der Machtnahme der Nationalsozialisten verlassen muß.
Der dominante, erfolgreiche, einflußreiche Vater Karl diktiert das berufliche und private Leben seines Umfelds. Neun Kinder bringt ihm seine ihn verehrende Ehefrau Leopoldine (Poldi) auf die Welt. Ein Sohn verschwindet als Erwachsener, einer begeht Selbstmord und das Leben geht in engen Linien weiter. Der reiche Vater gönnt sich und der Gesellschaft die besten Künstler und unterstützt mit Aufträgen und Einfluß. Gegen die Doktrin, daß keines seiner Kinder selbst künstlerisch tätig sein darf setzt sich erst Paul mit seinem Wunsch Pianist zu werden durch. Der Vater stirbt vor Ausbruch des ersten Weltkrieges.
Paul ist Offizier und geht nach Galizien und weiter, verliert seine rechte Hand und kurz darauf seine Freiheit durch russische Kriegsgefangenschaft. Erst 1916 wird er eingetauscht. Er ist von der Idee Leschetitzkys von der Möglichkeit auch mit einer Hand als Pianist Erfolg zu haben angetan, übt, spielt einschlägiges und beginnt nach dem Weltkrieg Komponisten nach Kammermusikwerken und Orchesterwerken zu beauftragen. Die Gesellschaft anerkennt seine Leistung an, die älteren Schwestern werden nicht müde sich für den jüngsten Bruder Ludwig (später Philosoph in Oxford) zu engagieren und immer Paul vorzuziehen. Auch in das Liebesleben Pauls mischen sich die Schwestern menschenverachtend ein. Am Ende des Buchs geht Paul über Schweiz in die USA und Kuba, und holt mit viel Mühen seine blinde Geliebte (dann Ehefrau) und die heimlichen Kinder nach.
Der Epilog erzählt dann in rascher Form die Jahre zwischen 1938 und zum Tod (1961).
Mich haben einige Passagen sehr fasziniert. Beispielsweise : die Schilderungen der Kriegsgefangenschaft in Rußland, mit dem Querverweis, daß Fjodor Dostojewski auch in einem der Gefängnisse in den Paul war, gesessen hatte. Die Schilderungen wie abgehoben die Familie lebte und nach dem Zusammenbruch von Kaiserreich, Landwirtschaft, Gesellschaftsnormen als das Elend übergriff fast unbeteiligt war. Die Schilderungen von Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Sergej Prokofieff und Maurice Ravel, als Paul Kompositionen beauftragte aber auch in seinen Erwartungen enttäuscht wurde.
Die Figuren sind schön geschildert - die Eltern, die Geschwister, die lesbischen Tanten, die Doppelbödigkeit der homosexuellen Brüder, die treuen Diener, Künstler wie Klimt, Engelmann, Mahler, Laber, Korngold Vater und Sohn, R. Strauss und Gattin, etc.
Die langen Spaziergänge die Paul durch Wien unternimmt sind nachvollziehbar, die unterschiedlichen Gegenden und Hausbauten schön gezeichnet.
Der Wandel im Leben als die Menschen in Wien in die Armut schlittern, und menschenverachtende zuerst politisch unverträgliche Bünde dann Machthaber agieren, bis zum Erkennen, daß er gehen muß ist gespenstisch.
Als selbst etwas Klavier klimpernder Mensch vermisse ich in dem Buch das Haptische des Pianisten. Es werden die Werke musiktheoretisch beschrieben, aber wie es ist wirklich am Klavier zu sitzen und die Tasten zu spüren und Musik auszudrücken, vermisse ich bei den Schilderungen des Buchs.
In Summe ein gutes Buch für Leser und Leserinnen, die mit Musik und den ersten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts in Wien umgehen können. Viel Vergnügen !
Eva Gesine Baur wurde am 11. August 1960 geboren. Ihr Pseudonym Lea Singer verwendet sie für Nicht-Sachbücher. Sie hat Kunstgeschichte, Musikgeschichte, und Literaturwissenschaft studiert. Sachbücher veröffentlicht sie unter ihrem eigenen Namen. Sie lebt in München und ist beidhändig.
Mittwoch, 20. August 2014
Lea Singer : "Konzert für die linke Hand"
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