Freitag, 31. Mai 2024

Fernando Aramburo : "Patria"

Fernando Aramburo :
"Patria"
Roman
original "Patria"
2016, Tusquets Editores, Barcelona
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
2018, Rowohlt Taschenbuch / 3. Auflage Oktober 2020
750 Seiten + 5 Seiten Glossar der baskischen Wörter und Redewendungen + 4 Seiten Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-3-499-27361-2

Zwei Familien im Baskenland zur Zeit der Attentate der ETA und danach - bei einer ist ein Sohn aktiv bei der ETA und später inhaftiert, der anderen Familie fällt der Vater durch ein ETA-Attentat zum Opfer. In vielen zeitlichen Sprüngen wird die Zeit vor, während und nach den Attentaten für die Generation der Eltern und Kinder beschrieben, und auch die Frage gestellt was für jeden Baske sein bedeutet.

Bittori, die erkrankt ist und wissen möchte wer ihren Mann und Unternehmer Taxto letztendlich umgebracht hat, und ist mit ihrer Anwesenheit im Dorf 20 Jahre nach dem Ereignis eine stumme unangenehme Erinnerung an die Ermordung. Deren Sohn Xavier ist Arzt geworden; die Tochter Nerea hat Jus studiert, und hat nach einigen Beziehungen einen sehr gut aussehenden Mann (nicht Basken) geheiratet.

Die andere Familie besteht aus Mirren mit ihrem Mann Joxian und deren drei Kinder. Der älteste Sohn Joxe Mari hat sich bald der ETA angehängt, war in Frankreich im Exil und bei einigen Attentaten im Baskenland beteiligt; letztendlich ist er im Gefängnis. Tochter Arantxa hat auch einen Spanier (Nicht-Basken) geheiratet und zwei Kinder mit ihm; sie hatte im Urlaub einen massiven Schlaganfall, der ihren wachen und eigenwilligen Geist in einen maroden Körper sperren will; der jüngste Sohn Gorka geht bald in die Literatur und veröffentlicht Werke auf Euskara, arbeitet später in einem baskischen Radiosender, schließt sich aber von Gewaltausübung aus.

Es geht auch um die Frage der Amnestie für aggressive ETA-Mitglieder, die aus den Gefängnissen entlassen werden sollen. Während die Familien dieser darauf hoffen, protestieren die Familien der Getöteten dagegen, auch weil diese in der Gemeinschaft gemobbt wurden und werden. Die Rolle der nicht immer christlich liebenden und vermittelnden Kirche, sondern  - hier gegen die Familie des Getöteten - auch mobbenden Priester wird skizziert.

Freundschaften zerbrechen innerhalb kurzer Momente und finden eigentlich nicht mehr zusammen.

In den Kapiteln werden die verschiedenen Sichtweisen der fünf und vier Familienmitglieder beschrieben. Manche die sich einfach nur klein machen wollen  andere die einen Weg suchen, manche streiten, andere versuchen zu handeln, manche wollen einfach nur ihre normale Arbeit machen ohne dafür verurteilt oder getötet zu werden.

Die Menschen sind gut geschildert und deren Temperamente, Launen und Charakteristika entstanden wie ein Film vor meinen Augen. Auch die verschiedenen Lebensräume wie Kleinstadt, Stadt, fremde Orte zum Verstecken, Studienstadt sind gut beschrieben.

Unter die Haut gingen mir die Einsamkeit der Witwe, und die Kälte wie mit ihr umgegangen ist.

Ich habe länger an dem Buch gelesen, und durchaus Zeit gebraucht bis ich mich bei den Personen der Handlung und den Zeitsprüngen ausgekannt habe.

In Summe ein starker und sehr eindrücklicher Roman bei dem klar wird, welche Verletzungen politische Geschehen für Familien und Gesellschaft haben. 

Fernando Aramburu Irigoyen wurde am 4. Jänner 1959 in San Sebastián geboren. Der Autor studierte in Saragossa panische Philologie, lebt seit 1984 in Hannover  und arbeitete zunächst als Spanischlehrer. Seit 2009 verfasst er ausschließlich Bücher sowie Beiträge für spanische Zeitungen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.Er spricht fließend deutsch. Sein erster war 'Roman Fuegos con limón' (1996) (Limonenfeuer)(2009).  

"Patria" wurde mittlerweile  in 20 Sprachen übersetzt, und ist als Serie in Spanien verfilmt worden.

Montag, 13. Mai 2024

Gerald Durrell : "Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten" *

Gerald Durrell :
"Die aberwitzige Reise eines betrunkenen Elefanten" * - eine fast wahre Geschichte
original "Rosy is My Relative"
1968, Collins London
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
2021, Ullstein Taschenbuch
   Seiten
ISBN 978-3-548-06417-8

Adrian Rockwhistle ist ein vorsichtiger Mensch mit einem langweiligen Job. Sein Onkel vererbt ihm eine Elephantendame, Rosy - früher ein Zirkusattraktion, und leider dem Alkohol zugetan. Adrian versucht mit ihr quer durch die Insel zu reisen, um sie bei einem Zirkus unterzubringen. Die Reise bringt vor allem Adrian an seine Grenzen, denn zuerst wird eine Jagdgesellschaft durcheinander gewürfelt, dann eine Geburtstagsparty zum Desaster, später bricht sich Adrian den Arm und verliebt sich - der Gastgeber meint in einem seiner früheren Leben mehrer Elephanten gehabt zu haben, eine entzückende Hexe namens Nell hilft ihnen immer wieder weiter, beim Zirkus gibt es Problem, später einen Gerichtsprozess, dank dessen humorvollem Richter dann alles doch gut ausgeht.

Die Landschaften sind englisch, sanft hügelig und nicht immer einfach eine Elephantendame mit Temperament zu verstecken.

Die Personen sind sehr unterhaltsam geschildert. Es gibt den eingebildeten Jagd-adeligen, den humorvollen Adeligen, die Schreckschraube an Gattin, eine bezaubernde Hexe, einen Mann mit vielen Leben, eine schöne kluge medizinisch erfahrene junge Frau, Menschen die alles besser wissen, einen gescheiten Anwalt, den nervösen aber liebenswerten Adrian, und seinen Freund den Schmied.

Rosy ist eine zirkustrainierte freundliche Elephantendame. Wenn ihr Obst oder Gemüse gefällt ist sie es einfach, Bier bis Rum und Schnaps sind auch immer willkommen. Sie ist auch hilfsbereit wenn es darum geht mit dem Rüssel Wasser zu verteilen.

Das Buch ist sehr humorvoll geschrieben. Ich habe viel in den Straßenbahnen gelesen und mußte öfters laut lachen.

Viel Freude beim Lesen und gutes Lachen  !

Gerald ('Gerry') Malcolm Durrell wurde am 7. Jänner 1925 in Jamshadpur, Indien geboren und starb am 30. Jän ner 1995 auf Jersey. Er war ein britischer autodidaktischer Zoologe, Autor, Tierpfleger, filmte Tiere für die BBC und war zuletzt auch Tiergartendirektor.

Dienstag, 7. Mai 2024

Hisashi Kashowai : "The Kamogawa Food Detectives"

Hisashi Kashowai :
"The Kamogawa Food Detectives"
original "Kamogawashokudo "
2013, Shogakukan
translated from Japanese by Jesse Kirkwood
2023, Mantle, imprint of Pan Mamillan
201 Seiten + 1 Seite Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-1-035009589

auf deutsch : "Das Restaurant der verlorenen Rezepte"

Vater Kamagowa, ein ehemaliger Polizist, und seine Tochter führen ein kleines, geheimes Restaurant in einer Seitengasse Kyotos. Werbung gibt es nur mit einer einzigen Zeile, die wenige Menschen finden. Sie werben damit, daß sie Rezepte finden, die lange vergessen sind. Die Suchenden erhalten meist an Anfang viele kleine Teller mit grandiosen kleinen Häppchen (von denen ich zwar leider nur die Hälfte verstanden habe, die aber köstlich beschrieben sind). 

Die Geschichten sind ähnlich aufgebaut : jemand sucht ein Gericht, Vater und Tochter recherchieren und kochen und lösen dabei das Rätsel, das für die suchenden Personen mit dem Gericht verbunden ist.

1) Nabeyaki-Udon - Suppe mit dicken Nudeln, Shrips, Karottenscheiben, Spinat, Fisch-kuchen, Zwiebeln, Hendl-stücken. Diese Suppe ist einem Herren in Erinnerung, da seine Frau sie immer so gut gemacht hatte, aber seine jetzige Liebe sie leider nicht kann. Die Gastgeber triksen etwas um der jetztigen Frau zu helfen.

2) Beef Stew - Rind stew mit Brokoli und Shitake-pilzen. Eine ältere Dame trauert einem Rendezvous vor 55 Jahren nach, bei dem ihre Familie einem weitere Treffen verboten hatten und den arrangierten Ehemann präsentierten. Der jungen Mann damals konnte sie auch nicht vergessen, lebt aber nicht mehr.

3) Meckerel sushi. Ein wichtiger Funktionär taucht in seine Kindheit, bei der ihm dieses Gericht angerichtet worden war.

4) Tonkatsu - paniertes Schnitzel, in Streifen geschnitten auf Kohl serviert mit Tonkatsu oder Soja-sauce serviert. Ein Frau sucht dieses Gericht in Erinnerung an ihren Mann, deren Ehe wegen Stolz geschieden worden war, und die im Alter vielleicht wieder hätten gemeinsam sein können.

5) Napolitan Spaghetti - Spaghetti mit Frankfurter Würstel in Scheiben, Zwiebel, Paprika. Eine Enkelin sucht die Essenserinnerung in ihren Großvater, aber damit auch seine Liebe zu ihr und sein Vertrauen, daß sie eine großartige junge Frau ist. (warum Frankfurter Würstel aber neapolitanisch seien, entschloß sich mir nicht)

6) Nikujaga - Fleisch und Kartoffel-Eintopf mit Zwiebeln und Soja-sauce. Ein junger erfolgreicher Unternehmer erinnert sich an dieses Gericht, das seine Mutter immer gekocht hatte, aber bei seiner Stiefmutter nie so gut gewesen war. Es stellt sich heraus, daß die kranke Mutter der Stiefmutter das Lieblingsrezept gegegeben hatte.

Eine rote Tigerkatze ist am Cover der englischen Übersetzung. Ein Tigerkatze geht manchmal am Anfang oder Ende der Episode in oder aus dem Restaurant; mehr gibt es nicht über die Katze, was ich nach dem Cover sehr schade fand.

Ich hätte mir eine Zusammenfassung der Rezepte gewünscht und mehr Information über die Produkte, da nicht jedem/r japanisches Essen außerhalb der üblichen Sushi-produkte geläufig ist.

Die Geschichten sind schön zu lesen, sollten m.a.n aher langsam gelesen werden, damit sie wirken. Leider sind für mich Traurigkeit und Einsamkeit zu dominierend in dem Buch. Lesenswert sind die Geschicheten trotzdem.

Hisashi Kashiwai wurde 1952 in Kyoto geboren und wuchs dort auf. Seine Zahnarztausbildung war in Osaka. Zurück in Kyoto arbeitete er als Zahnarzt, schrieb über 'seine' Stadt und hat bei Fernsehberichten über Kyoto mitgearbeitet.

Freitag, 3. Mai 2024

Karina Sainz Borgo : "Nacht in Caracas"

Karina Sainz Borgo :
"Nacht in Caracas"
original "La hija de la espanola"
2019, Lumen Penguin Random House
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
2019, S.Fischer Verlag
195 Seiten + 1 Seite Danksagungen
ISBN 978-3-596-70797-2

Adelaida ist Mitte dreißig; sie begräbt ihre Mutter, deren Krebsbehandlung sie wegen der Wirtschaftskrise und dem Terror ringsum nicht behandeln lassen konnte. Ihre Wohnung wird von einer Gruppe kampftrainierter Frauen, die mit Lebensmitteln zu Wucherpreisen handeln, okkupiert - sie verliert damit auch ihre Bücher, und ihren Computer um ihre Arbeit als Übersetzerin zu machen.
Rückblickend erzählt sie von ihrer Mutter, die die erste Akademikerin der Familie war, allerdings schwanger sitzen gelassen wurde. Mutter und Tochter leb(t)en in Caracas, während die Schwestern der Mutter in Ocumare geblieben sind.
Es tut sie eine Möglichkeit für sie zu leben und überleben auf, und sie entwickelt sich in eine andere Person (siehe Titel auf spanisch).

Die Geschichte ist in Ich-form aus der Sicht von Adelaida erzählt. Als Leser/in folgt man ihren Gedanken, Erinnerungen, Ängsten, Handlungen und Planungen. Hier erfährt man über die Liebe zu dem Photographen Francesco, der zwei Tage vor der Hochzeit getötet wurde, weil er ein Photo von einem Mafiamann gemacht hatte.

In dem Buch ist viel über Brutalität zu lesen, bei der es um Mann gegen Frau, Gruppen von Männern gegen Gruppen von Frauen, Gruppendynamik gegen einzelne wehrlose Menschen geht.
Anhand des Bruders einer Freundin wird dargestellt wie Folter, Terror, Erpressung idealistische Menschen dazu bringt für das eigene Überleben alles zu tun.
Hintergrund ist der Wirtschaftskollaps eines Landes, bei dem Grundnahrungsmittel nur noch extrem überteuert wenn überhaupt zu haben sind. Auch Menschenleben sind nichts (mehr) wert.

Der spanische Titel übersetzt 'Tochter der Spanierin' ist die Lösung. Als Personen sind die Mutter, die aus Spanien kam und in Venezuela zuerst mit spanischen dann mit lokalen Köstlichkeiten im Lokal die Leute verwöhnte, glücklich gezeichnet; die Tochter war mit dem Lokal unglücklich.
Der deutschsprachige Titel ist der letzte Satz im Buch.

Der Roman ist dicht geschrieben und gab viel zu Denken.

Karina Sainz Borgo wurde 1982 in Caracas geboren und wandert mit 12 Jahren nach Spanien aus, wo sie bis heute lebt, ihre Verwandten sind in Venezuela geblieben. Borgo ist in Madrid als Journalistin tätig und schreibt für verschiedene Zeitungen und auch Blogs in Spanien und Lateinamerika. 2019 erschien ihr erster Roman »Nacht in Caracas«, der weltweit gefeiert und in 26 Sprachen übersetzt wurde. »Das dritte Land« ist ihr zweiter Roman, er wurde mit dem Prix Jan Michalski ausgezeichnet.