Sergio Àlvarez :
"35 Tote"
original "35 muertos"
2010,
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis
2011, Suhrkamp Nova
536 Seiten
ISBN 978-3-518-46250-8
Der Roman erzählt die Geschichten eines Jungen in Kolumbien, der bald Waise wird. Er lebt zuerst bei einem Wahlonkel am Land, dann bei einer fröhlichen Tante in der Stadt die sich in einen Kommunisten verliebt. Die ersten Kommunen und Gewerkschaften entstehen - auch Verrat. Später hat der junge Mann Freunde mit denen er Markenartikel stiehlt und dann Bier und Joints genießt. Die erste große Liebe flammt auf, wird genossen und zerbricht. Er studiert Philosophie ohne Interesse, zerbricht fast, und wird vom Militärdienst aufgelesen und erzogen. Als Soldat bekommt er den brennenden Justizpalast zu sehen und muß dort Geschehenes mitaufräumen. Die Präsidenten des Landes kommen und gehen (und werden meist verachtet), aber die Gewalt steigt. Am Land sieht er eine Chance und zieht mit einem Puppenspieler aus der Zeit der Kommunisten (und dessen Tochter) durchs Land, sieht die Kaffeeregionen und manche Städte. Wieder zerbricht alles am Strudel von Drogen und Gewalt. Wieder erscheint eine neue Frau, neues Leben, diesmal mit Ehe und Familie, aber auch das zerbricht am Drogen-Waffen-Handel und diesmal härterem Eingriff der Politik. Ein Freund hilft und er kommt diesmal zu Paramilitärs, fliegt als weicher Mensch und Kommunist auf und kann gerade noch entfliehen. Wieder hilft ein Freund - diesmal nach Madrid verschwinden. Die Kolumbianer in Spanien helfen einander, aber es ist wieder der Kreislauf aus Drogen und Zuschlagen der wieder alles zerschlägt.
Ich - es erzählt in jedem Kapitel ein 'ich' das Geschehen von Tod, Liebe, Hoffnung bis Gewalt. Meist ist es der junge Mann, dessen Leben begleitet wird - von der Entstehung bis zum Leben in Madrid der Jahrtausendwende. Manchmal ist es die Tante, dann eine Geliebte, dann eine betrügende Geliebte, dann ein Weggefährte, oder Menschen die nicht mehr im Roman vorkommen sondern nur eine Facette des Lebens erzählen. Sich hier wieder einzudenken und einzufühlen ist nicht immer einfach.
Er wird von vielen Menschen umgeben : seine lebensfrohe Tante Christinita die andere letzten großen Liebe stirbt, sein Jugendfreund Quique vom Land, die Freunde aus der Kommunenzeit Marcos, Nemo, Zuma, el Fantasma etc, Frauen wie Natalía, Talía, Camila, María Paula in die er sich verliebt und glücklich verträumt ist solange es geht. Die Menschen sind nachfühlbar beschrieben.
"Glaub mir Bruder, hier regiert der Tod, und wer nicht tötet oder töten lässt, ist nichts wert, ein Nichts" (Seite 473)
Wer mit der Geschichte Kolumbiens besser vertraut ist, wird die nebenbei erzählten politischen Fakten besser einreihen können. Die Ermordung des Schwester eines Präsidenten wird nebenbei erzählt, auch diverse andere Charaktereigenschaften von Präsidenten. Nur der Sturm auf den Justizpalast von Studenten, Schießereien mit dem Militär, alles zulasten der Geiseln die rücksichtslos als Collateralschaden betrachtet werden, Brand der die Geiselnehmer zum aufgeben zwingen soll und Leichen unkenntlich werden läßt wird genauer geschildert. Daß dann beim Aufräumen nicht alles rechtens zuging, wird erst in der neueren Geschichte aufgearbeitet.
Das Buch wird mit Gabriel Garcia Marquez "100 Jahre Einsamkeit" verglichen. Diesen Vergleich kann ich nicht bestätigen, da mich die blühenden Metaphern und das Herumspringen von Damen gleichen Namens aber ungleicher Geschichte tief in seinen sprachlichen Bann gezogen hatte. Alvarez benutzt keine Metaphern und die Sprache ist nicht so reichhaltig, wie die phantasievolle und skurrile Ideenwelt von Gabriel Garcia Marquez.
Das Buch zieht durch die Geschichte von Gewalt, Politik, Liebe, Erotik und Tanz & Musik in den Bann. Vermutlich ist die Welt der Drogen, Waffen, Gewalt nur durch die Lebenslust am Tanz, Vallenato, Salsa und Alkohol & gutem Essen und Sex auszuhalten.
In Summe ein intensives, starkes Buch, bei dem ich immer wieder im Internet nachrecherchiert habe da ich die Hintergründe nicht wahrnehmen wollte. Ein empfehlenswertes Buch, für das sich Leserin & Leser Zeit nehmen sollten.
Sergio Alvarez wurde 1965 in Bogotá geboren. Er ist Schriftsteller und Journalist. Seine Artikel erscheinen in 'El Pais' und 'La Vanguardia'. 2004 ist sein erster Roman erschienen : 'La Lectora' das das Drogenphandel beschäftigt; 2006 'Mapaná' das sich mit dem Generationenproblem am Amazonas auseinandersetzt; '35 Muertes' ist sein dritter Roman.
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