Mittwoch, 24. Oktober 2012

Alejandro Zambra : "Die Erfindung der Kindheit"

Alejandro Zambra :
"Die Erfindung der Kindheit"
original "Formas de volver a casa"
2011, Barcelona
aus dem Spanischen von Susanne Lange
2012, Suhrkamp Verlag
xx Seiten
ISBN: 978-3-518-42334-9

Dieser Roman ist vierteilig und in Ich-Form geschrieben.
Im ersten Teil erzählt ein Bub, der für ein Mädchen schwärmt, wie er auf deren Wunsch einen Nachbar beobachtet/verfolgt. Angesiedelt ist die Beobachtung in Maipú (Anm: einem Bezirk der Stadt Santiago de Chile). Ausgangspunkt ein Erdbeben das 1985 das Land erschüttert und all die Menschen gemeinsam eine Nacht verbringen, die sonst möglichst wenig miteinander zu tun haben und noch weniger miteinander reden. Als er eine junge Frau bei dem zu Beobachtenden sieht und dies berichtet, reagiert das Mädchen sehr verstört. Erklärungen warum er beobachten soll und was die Reaktion bedeutet, erfolgen trotz fragen nicht.
In den Teilen zwei bis vier ist der Bub erwachsen, schreibt Romane, versucht sich in Lyrik, hat eine Ehe hinter sich, besucht seine Eltern selten aber doch - und das Mädchen von damals läuft ihm wieder über den Weg. Mittlerweile ist die Diktatur unter Pinochet vorbei. Erst jetzt fällt auf, daß seine Familie und er durch konsequentes wenig Reden, in der Diktatur überlebt haben - seine Familie hat niemanden verloren. Andere Familien waren da anders - das Mädchen hatte in dem Nachbarn ihren Vater wiedererkannt, der unter falschem Namen und Identität Mitmenschen half. In dieses Geheimnis war sie nicht eingeweiht gewesen - ihre große Schwester war altersbedingt es. Konflikte waren und sind programmiert.
Er versucht weiter an seinem Roman zu schrieben, scheitert aber weil seine Ex-Frau nicht die gewünschte Reaktion zeigt. Die Gedichte fließen wie von selbst aus ihm.

Das Mädchen heißt Claudia, ihre Schwester Ximena, der Vater Roberto - Rául, die Ex-Ehefrau M., Vater und Mutter sind Vater und Mutter, seine Schwester ist namenslos, genauso wie mir kein Name für den Erzähler selber auffiel.

Der erste Teil hat mich sehr angesprochen. Leider ist die Spannung in den anderen Teilen nicht zu spüren. Hier verliert sich der Text in unfertigen Bildern. Manchmal wirkt der Text wie eine Aneinanderreihung von Absätzen, die nicht immer miteinander in Kontext stehen.

Die Personen sind tw. schön geschildert und nachvollziehbar. Leider bleibt der Erzähler für mich formlos. Die Frauen sind vorstellbar. Die Orte bleiben Ausschnitte.

Ich hatte beim Lesen ein Post-it im Buch um mir die vielen verschiedenen für mich neuen Autoren aufzuschreiben. Viele dieser Namen sind in Lateinamerika offenbar sehr bekannt, dürften aber (noch) keine deutschen Übersetzer haben.
Wenn das Reflektionen der notwendigen Kommunikationslosigkeit unter einer Diktatur das emotionale Ziel des Romans war, kann der Leser es als gelungen betrachten. Mir waren zu wenig Auflösungen der Rätsel der Kindheit zu finden, und auch kein Umgang die Gegenwart anzupacken und zu gestalten.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Jutta Motz : "Drei Frauen und die Kunst"

Jutta Motz :
"Drei Frauen und die Kunst"
Roman
2001, Piper GmbH München Berlin
340 Seiten
2 Seiten Danksagung
2 Seiten über Tugenden - deren deutsche und lateinische Namen als Kapitelüberschriften eingesetzt werden
ISBN 3-492-23153-5

Lisa Wolf wird beauftragt als Kunstjournalistin, die nach dem Tod ihren Mannes nach Berlin zurückkehrt, heimlich für eine Kunstversicherung den weltweitem Handel von gefälschten Druckgraphiken / gefälschten Signaturen zu recherchieren. Ihre Tante Marlene, Schwester ihres Vaters, die Mutter und Tochter nach deren DDR-Flucht in Berlin aufgenommen hatte, nimmt wieder wieder unter ihre Fittiche. - Marlene ist Juristin und arbeitet bei einem Fernsehsender.
Als Lisa's Wohnung nach einem Vernissagenbesuch komplett verwüstet wird, lernt sie die Kirminalhauptkommissarin Traute kennen. die drei Frauen schließen sich zusammen um deb Kunstfälscherein auf die Spur zu kommen.
Lisa lernt den Künstler Bobo Scheußlich kennen - nomen est omen, der kurz darauf ermordet wird. Ihr Vater kannte ihn schon aus DDR-Zeiten - ihr Vater war damals Zeichenlehrer ohne Arbeit, der nach der Flucht von Frau und Tochter noch mehr Schwierigkeiten hatten.
Später reist sie zu ehemaligen Schulkollegen in Halle, wo sich eine Motorradgang wieder sieht die langfristig zur Lösung von Mord und Fälschung führt.

Der Roman ist in Ich-form aus Sicht von Lisa erzählt. Sie beginnt bei der Einsamkeit als Witwe in den USA, und endet als Frau die sich entschließt in Berlin bei Vater und Familie zu bleiben.

Stark sind die kurzen Informationen über das sogenannte normale Leben in der DDR, als Stasileute überall waren, Spitzel für Mißtrauen sorgten und harmloses Kunstinteresse sofort als staatsfeindlich galt (allerdings auch mit Tricks umspielt werden konnte).

Witziger Seitenstrang ist eine Telephon-Sex-Hotline, die irrtümlich auf Lisas Nummer landet. Die Meldungen der Herren Anrufer, wie sich Lisa bei der Telephongesellschaft endlich durchsetzt und da sie die Dame der Hotline persönlich kennen lernt, auch kurz deren Hilfe in Anspruch nimmt, ist humorvoll geschildert.

Die Menschen sind lebensnah, humorvoll und gut vorstellbar geschildert. Die Szenerien auch jemandenr der nur einiges Male kurz in Berlin war, wiedererkennbar bzw. vorstellbar.

Die Geschichte ist gut und spannend, aber trotzdem mit Gemütlichkeit und Zeit für Schilderungen erzählt. Viel Spaß beim Lesen.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Carlos Ruiz Zafón : "Marina"

Carlos Ruiz Zafón : "Marina" Roman
original "Marina"
1999, Edebé, Barcelona
geschrieben lt. Vorwort zwischen 1996 und 1997
aus dem Spanischen von Peter Schwaar
2011, S. Fischer Verlag
339 Seiten
3 Seiten Vorwort
2 Seiten Epilog
ISBN 978-3-10-095401-5

'Marina' ist ein Roman über Jugendliebe, erste Liebe, und Kunst, der zu einem guten Drittel eine Gruselgeschichte ist, in der es wieder um Liebe und Kunst geht. Mit schönen, starken dichten Metaphern sind die Umgebung und die Menschen beschrieben - die Geschichte zieht in den Bann.

Òscar Drai, ein junger Mann der 1979 im Internat in Barcelona lebt, durchstreift gerne die Straße und lernt nachdem er Kater Kafka verfolgt hat, deren Besitzerin die zarte, schöne, gleichaltrige Marina und deren Vater Géronimo Blau kennen. Sie leben in einer ziemlich verfallenen Jugendstilvilla in einer Gegend mit alten, eher verfallenen Häusern. Die Mutter Marinas war eine wunderbare, gefeierte begnadete Sängerin gewesen, die an TBC verstorben ist. Géronimo hatte den Zauber seiner Frau als genialer Maler der er war, in wunderschönen Bildern festgehalten.
Marina zeigt Òscar auf dem Friedhof in Serría eine schöne tiefverschleierte Frau. Beim Verfolgen dieser Frau entdecken sie ein gespenstisches Gartenhaus mit mißgestalteten Marionetten. Òscar und Marina folgen der Geschichte und Stück für Stück wird ihnen die bizarre Lebensgeschichte von Michael Kolwenik aus Waisentum, Varieté, Geld, medizinischen Gelenken, großer Liebe, Salzsäure, Betrug und beginnendem Wahnsinn aus Mißbildung erzählt.

Die Menschen in den Roman sind wunderschön geschildert - Òscar als ungelenker aber netter junger Mann, Marina als schöne gescheite junge Frau, ihr Vater Géronimo als Herr der alten Schule mit Manieren, mit Bildung, und Zurückhaltung, Kater Kafka der genau weiß was er will, Pater Sergiu im Internet, die verschleierte Frau, Dr. Shelley mit Tochter. Schöne Metaphern umschreiben die Personen - Géronimo dessen Fahrweise beschrieben wird, daß er selbst Ameisen den Vortritt läßt. Auch Géronimo hat seine Familiengeschichte als Liebe, Schönheit und Verrat vorzuweisen. Die verschiedenen menschlichen Facetten von Michael Kolwenig, vom genialen Ingenieur, zum verliebten Mann der einen Traum gestalten will und sich über menschliche Grenzen hinwegsetzen möchte sind beängstigend nahe beschrieben.

Mir haben die Formulieren und Beschreibungen des in Ich-Form geschriebenen Buchs in diesem Buch besonders gut gefallen: Beispiele dafür sind ' Regen kratzt am Fenster', 'Maler heißt schreiben mit Licht', 'wo die Gezeiten atmeten wie ein versteinerter Wal', 'das Lichtdiadem des Vordachs' bis 'Kobold der Zeit' und ' Müdigkeit begann mich zu umzingeln wie hungrige Wölfe'.

Das Buch in lesbaren großen Buchstaben geschrieben - es war nicht notwendig nach der Lesebrille zu suchen.
Sehr angesprochen haben mich auf die Beschreibungen der Ort, des Mystik der Ort, der Nebel der die Villengegenden verhängt. Es ist kein buntes Barcelona, das hier beschrieben wird, sondern die scharz-grau schillernden geheimnisvollen Teile der Stadt.

Im Vorwort erzählt der Autor, daß es lange dauerte bis ein Verlag das Buch komplett veröffentlichte und nicht mit Strichen, die die Gesamtheit der Geschichte sehr beeinträchtigt hatten.

Der Roman ist sehr empfehlenswert, wenn der Leser/die Leserin in eine vergangene Welt mit Zauber tauchen will, denn die Stadt wird als sehr versunken geschildert. Das Erwachsen werden von Òscar ist behutsam geschildert, seine Freundschaft und der Zauber zu Marina, das Kennenlernen von Rücksicht wie sie in der Familie von Marina praktiziert wird. Mir hat das Buch sehr sehr gut gefallen.