Donnerstag, 4. Dezember 2014

Ece Temelkuran : "Was nützt mir die Revulotion, wenn ich nicht tanzen kann?"

Ece Temelkuran :
"Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?"
Roman
original "Dügümlere Üfleyen Kadinlar"
2013, Everest Yayinlari, Istanbul
aus dem Türkischen von Johannes Neuner
2014, Atlanik Verlag (in der Hoffmann und Campe Verlag GmbH) Berlin
390 Seiten
ISBN 978-455-60004-9

Dieser dichte Frauenroman der in Tunesien, Lybien, Ägypten, und Libanon nach dem arabischen Frühling spielt, erzählt wie vier faszinierende Frauen auf ihrer Roadstory moralischen Mist über Bord werfen und sich nach und nach zutrauen sich ehrlich zu leben.

Start ist in Tunesien. Drei Frauen trinken gemeinsam, beobachten eine Nachbarin, werden dann zu dieser zum Jasminstrauch, herrlichem Essen und einer verrückten Reise eingeladen. Grenzen werden mit Tricks überwunden, als Fortbewegungsmittel Kamele, Autos, Hubschrauber, Yacht und Flugzeug benutzt, Kleidung anpassungsfähig eingesetzt und bei allen wird gelesen, diskutiert, gelacht, geweint bis jede ihrer kleinen bis großen Lebensaufgabe ins Auge sieht. Anfang und Ende sind der Hof mit dem Jasminbaum.

Das Buch ist aus Ich-Sicht der Türkin, einer Journalistin, die nach Tunis geflohen ist erzählt. Sie ist die zurückhaltendste und am wenigsten spürbar; ihre Lust am Schreiben wird immer stärker.
  Amira ist Tunesierin, Bauchtänzerin und hat sich in einen Dschihadisten verliebt. Sie ist eine emotionale, liebevolle, übersprudelnde Frau. Ihr Traum ist eine eigene Bauchtanzschule - ihr Vater ist dagegen. Sie hat Briefe von dem jungen Ex-Dschihadisten erhalten, der seine Handlungen und Werte in Frage stellt und über das Mittelmeer nach London flieht.
  Maryam ist ägyptische Wissenschaftlerin, die ab den zweiten Abend auf dem Tahirplatz war. Dort begegnete ihr der Chef eines Fußballfanclubs - diese Liebe verändert ihr Leben. Beruflich weiß sie viel über das Leben von Dido, der großen königlichen Dame in Karthago. Sie ist als Muslima durch Schleier tragen erkenntlich. Sie wirkt wie die männliche Ergänzung zur sehr fraulichen Amira.
  Madame Lilla / Esme/ Mutter Thirina ist die ältere, charismatische Dame, die viel erlebt hat, von ihrem Spionageleben spuradisch erzählt, überall Menschen kennt, genußvoll ihre Macht zelebriert, einer großen Liebe nicht verzeihen kann und die Aura einer "Grand Dame" ausstrahlt.

Schön sind die Beschreibungen der jeweiligen Gegenden. Am besten gefiel mir die Formulierung in der die Wüste "bonbonrosa" schien; liebevoll ist beschrieben wie wenig die traditionellen orientalischen Männer in ihren Cafés mit diesen vier Frauen umgehen konnten, denen anzusehen war, daß diese keine Touristinnen sondern aus ihrem Kulturkreis sind.

Die vier Frauen sind die Hauptpersonen. Männer sind wichtig, aber Nebenfiguren in dem großen Schachspiel; sie haben alle Namen und sind nicht auf Funktionen reduziert.
Einer der Männer ist ein Tuareg; auch diese Welt ist dem Roman inkludiert.
Skurril ist der Besuch in einem ehemalig wunderschönen, jetzt zerfallenden Landsitz im Libanon als die vier Frauen auf eine ehemalige Löwenbändigerin stossen, die sich jetzt mit Katzen- und Schlangenzucht über Wasser hält; der Mann züchtet die Tauben.

Weibliche Esoterik blitzt kurz durch, als die vier Frauen bei einer der Reisestationen aufgefordert werden sich mit ihrer Göttin zu unterhalten (Göttin : Aphrodite, Artemis, Hekate etc ...).
Schön finde ich die Elemente wenn die ältere Dame den drei jüngeren zu vermitteln versucht, daß der Atem der Frauen die Welt und die Männer am Leben erhalten.

Etwas unrealistisch scheinen die Grenzübergänge, da es wohl kaum ohne Pässe gehen kann. v.a. wenn beim Rückflug ein Flugzeug einer Chartergesellschaft bestiegen wird; dies mit einem zwei Monate jungen Baby und einer kleinen Siamkatze.

Musik ist ein Teil der Reise. Die Frauen hören und diskutieren über die großen Damen der arabischen Musik: Asmahan, Umm Kulthum und die Libanesin Fairuz.

In Summe ein schönes Buch mit geistigen Ausflügen in den Koran, die Entwicklung von Frauen, Geschichte mit Dido und humorvollen Situationen. Viel Freude !

Ece Temlukuran wurde 1973 in Izmir geboren. Sie ist Juristin, Journalistin und Schriftstellerin; ihren Job als Journalistin verlor sie aufgrund ihrer oppositionellen Einstellung. Ihr erster Roman "Die Stimme der Bananen"(original : "Muz Sesleri") erschien 2010.

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