Dienstag, 30. April 2013

Rushdie Salman : "Des Mauren letzter Seufzer"

Rushdie Salman :
"Des Mauren letzter Seufzer"
original "The Moor's Last Sigh"
1995, verlegt bei Jonathan Cape, London
aus dem Englischen übersetzt von Gisela Stege
1996 Kindler Verlag München
569 Seiten
1 Seite Stammbaum der Familie Da-Gama-Zogoiby
2 Seiten Glossar von Begriffen aus dem indischen Sprachraum
ISBN 3-463-40218-1

Der faszinierende, farbgewaltige und auch negative Roman wird aus der Sicht von Shri Moraes Zogoiby, kurz Moor genannt, erzählt. Er ist Asthmatiker und am Ende seines Lebens - und erzählt seine Geschichte und die seiner Vorfahren die sich von Vasca da Gama ableiten zu glauben inkl. Leben und Politik in Indien, meistens in Bombay.

Der erzählende 'Moor' ist das vierte Kind, der einzige Sohn, einer Familie die ihr Geld mit Gewürzen gemacht hatte. Bei ihm greift ein Miracel, daß er doppelt so rasch wächst als er alt ist - seine Seele wächst aber in üblicher Geschwindigkeit weshalb er einigen Erfahrungen immer hinterdrein winkt. Außerdem ist seine linke Hand nicht in Fingern ausgewachsen - was ihm einige Zeit später als Schläger von Vorteil ist.

Der Beginn des Buches ist den Großeltern des "Mooren" gewidmet, dem Krieg zwischen den Damen, den politischen Gegenseitigkeiten von Großvater und Onkel, der Homoerotik des Onkels, dem Krieg zwischen den Familien der Damen, der fast alles vernichtet.
Mitten darin wächst seine Mutter auf - Aurora. Eine starke Frau die sich von nichts und niemandem etwas sagen läßt und die heimlich zu malen beginnt. Diese Frau verliebt sich in den älteren jüdischen Buchhalter Abraham Zogoiby (was Rushdie die Chance gibt die Geschichte der Juden in Indien zu erzählen) und setzt die Eheschließung durch. Sie ist Künstlerin, meist geliebt - bewundert - geachtet, von manchen tiefgehaßt, während er den Gewürzhandel ihrer Familie übernimmt und erweitert (meist mit unfairen Methoden). Drei Töchter und spät ein Sohn entspringen dieser Ehe. Die egozentrische Mutter diktiert und karikiert das Gesellschaftsleben, während ein Bewunderer - Vasco Miranda - das Kinderzimmer mit Comicfiguren ausmalt.
Keines der Kinder wird glücklich - eine Schwester wird Anwältin (und wird später ermordet), eine Nonne und die dritte in Indien erfolgreiche Sängerin (ein Erfolg der in den USA ausbleibt, und sie an den Drogenkonsum bringt). Dem 'Moor' helfen Angestellte beim Box training und der Koch der seine Begabung für die Küche erkennt.
Der 'Moor' verliebt sich in eine wunderschöne Künstlerin - Uma Sarasvati. Sie intrigiert, bringt ihn und seine Eltern auseinander und bringt ihn ins Gefängnis, aus dem ihn erst der Intimfeind seiner Mutter befreit. Für ihn wird er zum professionellen Schläger. Erst nach dem Tod der Mutter nähern sich Vater und Sohn wieder einander an.
Vor dem Hintergrund der steigenden Konflikte zwischen Religionen und religiösen Splittergruppen erheben sich auch andere Kampffronten. Es gehen viele Bomben hoch, die auch den Gemälden von Aurora und dem Leben von Vater Abraham und seiner Schwester der Nonne ein Ende setzen. Der 'Moor' konnte noch rechtzeitig nach Spanien entfliehen, wo er auf Boabdils Spuren Vasco Miranda in Prunk, Einsamkeit und Wahnsinn sucht. Letztendlich bleibt nur der Tod.

Die Neugier endlich mal einen Rushdie-Roman zu lesen, der aber nicht die berühmten 'Verse' sind, hat mich zu diesem Buch greifen lassen. Es hat mich die Beschreibung der Welt der Gewürze, des Reichtums in Indien/Bombay fasziniert, genauso wie die Religionsvielfalt.
Die Personen haben fast vor meinem geistigen Auge getanzt, geliebt, getötet, und gemalt. Die Verschiedenartigkeit der Temperamente, der Egoismen und auch der Brutalität zogen mich in den Bann.

Es ist kein Buch das ich einfach zwischendurch lesen konnte, sondern bewußt mit seinen Metaphern, Farben, Ideen, Sprachspielerein gelesen werden möchte - und deshalb Zeit und Konzentration braucht.

Die für mich faszinierendste Persönlichkeit des Buches ist Aurora verheiratete Zogoiby. Zuerst haßt sie Elephanten (die ihre Mutter gesammelt hatte) - nennt dann das Haus, in dem sie leben, Elephanta. Sie wird in mehreren Stadien ihrer künstlerischen Entwicklung geschildert - wie sie sich mit Familie und den Konflikten auseinandersetzt. Immer wieder kommt das Thema der 'Moor'-Bilder: mal liebend, mal in Konflikt, aber immer wieder Antworten suchend. Ihre Sprachspiele sind z.B. hassifizieren, vertragifizieren, kreischifizieren, buchstabifizieren, etc.

Das Buch arbeitet nach, weil einerseits viel Geschichte Indiens erzählt wird, und viel über die Vielfalt der Religionen wie sie in Indien leben. Andererseits hatte ich einer Liebesgeschichte die in den ersten Liebesstunden in Gewürzen stattfindet, ein anderes Ende als bitterbösen Verrat und die starke Vermutung von Mord(en) gewünscht.

In Summe ein großartiges, faszinierendes Buch, das mir aber stellenweise doch zu lange wurde. Trotzdem kann ich diesen Roman nur jedem Leser /jeder Leserin empfehlen die sich in eine farbenfrohe, tragische Geschichte mit viel Wissen und Sinnlichkeit hineinlesen möchte.

Sir Salman Rushdie wurde am 19. Juni 1947 in Bombay (heute Mumbai) in einer moslemischen Familie geboren. Er studierte in Cambridge Geschichte und arbeitete am Theater und als freier Journalist. 1975 veröffentlichte er sein erstes Buch; 1981 kam mit seinem zweiten Buch "Mitternachtskinder" der Druchbruch. 1988 erschien das vierte Buch "Satanische Verse", das zu Kontroversen in der moslemischen Gesellschaft führte. Nach Morddrohungen lebte der Schriftsteller einige zeitlang versteckt. Literarisch folgten 'Harun und das Meer der Geschichten', 1995 'Des Mauren letzter Seufzer' und 2001 'Fury' (2002, 'Wut'). Meist lebt der Schriftsteller in den USA.

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