Dienstag, 25. Dezember 2012

Hermann Bauer : "Karambolage"

Hermann Bauer :
"Karambolage" - 'ein Wiener Kaffeehauskrimi'
2009, Gmeiner Verlags GmbH
271 Seiten
ISBN 978-3-89977-796-3

Der Wiener Kaffeehauskrimi ist eigentlich ein Floridsdorf-Krimi (Anm: Floridsdorf ist der XXI. Bezirk Wiens - östlich der Donau gelegen). Bei einem imaginären Kaffeehaus mit ebenso erfundem Chefober Leopold findet nach einem spannendem Billardduell ein Mord statt. Chefober Leopold ermittelt, und kommt zeitgleich mit der Polizei dem Mörder gerade noch rechtzeitig auf die Spur.

Der Deutsch- und Englischlehrer Thomas Korber ist im krachvollen Café als nach einem Billardduell zwischen chronisch verfeindeten Billardspielern sehr böse Worte fallen. Der ewig stichelnde Georg Fellner wird kurz darauf vor ein Auto geschupst und getötet. Sein Widersacher Egon Sykora kann es nicht gewesen sein, weil er vor einem Floridsdorfer Würstelstand zu dem Zeitpunkt zu laut um übersehbar zu sein, geworden war. Oberkellner Leopold forscht inzwischen dem Ursprung einer Kinokarte bei dem Getöteten nach. Es gibt noch eine zweite Leiche - sehr geschickt war hier Selbstmord gebastelt worden. Herr Korber, der dem Kellner geduldig sein Ohr für seine Mordtheorien leiht, bekommt als Ausgleich die Umsicht von Herrn Leopold der sich die unglücklichen Liebesgeschichten des Lehrers anhört. Dieser Umsicht ist zu verdanken, daß der Lehrer nicht die dritte Leiche ist.

Der Krimi ist gut lesbar, und nette gute Unterhaltung. Die Personen sind gut geschildert und gut vorstellbar : z.B. Witwe Fellner, deren Liebhaber Lacroix, Caféhausbesitzer und -besitzerin Heller, Lehrerkollegin Hinterleitner und deren Freundin Ingrid, die Menschen aus dem Billardclub. Die Orte der Handlung wie Café Heller, Billardclub, Wohnung des Augenzeugen Seidl etc. sind gut gezeichnet. Die Dialoge sind rasch, manchmal böse, manchmal witzig.

Wer kurzweilige Unterhaltung mit nettem Krimi-Drive möchte, ist bei diesem Buch sicher gut aufgehoben. Die typisch Wiener Ausdrücke sind für Unkundige mit Fußnoten erläutert.

Sonntag, 23. Dezember 2012

Sybille Bedford : "Ein trügerischer Sommer"

Sybille Bedford :
"Ein trügerischer Sommer"
Roman
original "A Compass Error"
1968, Williams Collins Sons, London
Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
2000, SchirmerGraf Verlag, München
Auf Wunsch und nach Absprache mit der Autorin wurde der Text für die deutsche Neuausgabe bearbeitet; es bestehen daher geringfügige Abweichungen gegenüber der englischen Originalausgabe.
263 Seiten inkl. Prolog
12  Seiten Nachwort der Autorin zur Neuausgabe 2000
ISBN 3-86555-028-2

Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Flavia, die sich vorgenommen hat für ihre Aufnahmeprüfung in Oxford zu lernen. Ihr Mutter und ihr neuer Freund sind heimlich weggefahren - sie hat den Auftrag nichts zu verraten, da seine Scheidung noch nicht gelungen ist.

Der Roman ist die Folgegeschichte von "Liebling der Götter", in der über Constanza erzählt wird - einer faszinierenden Frau, die als Tochter eines italienischen verarmten Grafen und der reichen Amerikanerin Anna nach Scheidung der Eltern in London lebte. Constanze ist eine bezaubernde Frau mit viel Charme, die meist versucht es ihrer Mutter gerecht zu machen. Flavia ist ihre Tochter mit einem Briten - die Ehe war gescheitert.  Flavia hat sich einen Tages- und Wochenablauf an der Côte eingeteilt in der sie arbeitet, lernt und Aufsätze schreibt. Als sie ihr gewohntes Abendessen im Nachbarort einnimmt, beobachtet sie eine Gruppe Menschen, die ihr wie Künstler vorkommen. Die Gruppe nimmt sie unter ihre Fittiche, und Thérèse die charismatische Ehefrau eines Malers nimmt sich ihrer - auch erotisch - an.
Über Nachbarn wird ihr eine andere sehr charismatische Frau vorgestellt : Andrée. Flavia verliebt sich.
Letztendlich stellt sich heraus, daß die Frau des Freundes ihres Mutter herauskriegen (will), wo die beiden sind ...

Die Personenschilderungen sind gelungen und sehr deutlich. Stark sind die Frauenpersönlichkeiten wie Thérèse, Andrée, Nachbarin Rosette, ihre Mutter Constanze und ihre Großmutter Anna. Flavia sucht ihren Platz - sie träumt von einer literarisch-wissenschaftlichen Karriere und ist sich erotisch nicht ganz sicher.
Die Männer kommen meist sporadisch vor - Ehen und Beziehungen scheitern. Der neue Freund der Mutter Michel hat Visionen und Charakter, die meisten anderen Männer haben es mehr auf das Geld von Anna abgesehen.

Die Ortsbeschreibungen in London, Rom, Toskana und Côte d'Azur sind eher skizziert, aber als Leser kennt man sich aus.
Schön ist das Gruppengefühl um Thérèse geschildert, deren Mann, die Kinder und was sonst als Menschen beim abendliche Essen versammelt ist. Gespräche über fast alle Themen sind erlaubt - nur ein Mann der den Nationalsozialismus zu loben beginnt, wird handfest aus der Runde befördert.

Der Roman ist schön dicht geschrieben, und die Personenschilderungen haben mich sehr angesprochen. Viel Vergnügen beim Lesen !

Sybille Bedford kam 16. März 1911 als geborene Freiin Sybille Aleid Elsa von Schoenebeck in Berlin  als Tochter eines deutschen Barons auf die Welt. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem zweiten italienischen Ehemann an der Côte d'Azur. Sie war Journalistin - und berichtete u.a. über die Ermordung John F. Kennedys - und Schriftstellerin von Romanen und Reiseerzählungen. Der Schriftsteller Aldous Huxley verhalf ihr - da sie Vierteljüdin war - zu einer vorgetäuschten Ehe mit Walter („Terry“) Bedford. Sie starb am 17. Februar 2006 in London.

Sonntag, 16. Dezember 2012

Sarah Quigley : "Der Dirigent"

Sarah Quigley :
"Der Dirigent"
Roman
original "The Conductor"
2011, Vintage Books, Auckland
aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
2012, Aufbau Verlag Berlin
2. Auflage (bei der 1. Auflage war eine CD mit der 7. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch beilegt)
378 Seiten
2 Seiten Danksagungen
13 Seiten Anhang: über 1. Dmitri Schostakowitsch 2. Die Leningrader Sinfonie 3. Die Belagerung Leningrads 4. Interview mit Sarah Quigley
ISBN 978-3-351-03502-2

In diesem faszinierenden, gut geschriebenen Roman wird die Geschichte von faszinierenden Persönlichkeiten mitten während der Blockade und Belagerung der Stadt Leningrad zwischen Sommer 1941 und Sommer 1942 erzählt. Die Persönlichkeiten sind der Dirigent Karl Eliasberg, der Komponist Dmitri Schostakowitsch, und der Geiger Nikolai, sowie Freunde und Nachbarn in Leningrad.

Im Hauptinteresse des Buchs steht der Dirigent des Leningrader Rundfunk Orchesters Karl Eliasberg. Er ist Sohn eines Schusters und mußte zuerst sein Violinstudium, nach Verletzungen sein Dirigierstudium hart erarbeiten. Während der Blockade kümmert er sich so weit es geht um seine ziemlich immobile Mutter, die geistig erschreckend abbaut.
Dmitri Schostakowitsch lebt mit seiner Frau Nina, Tochter Galina und Sohn Maxim in der Stadt. Er dürfte sich evakuieren lassen, will aber in Leningrad bleiben. Die ersten drei Sätze der siebenten Symphonie schreibt er in Leningrad - tw. im Beschuß durch Bomben. Alle erwarten Großartiges von dem Werk - eine Art Kriegssymphonie. Den vierten Satz schreibt er in Kuibyschew.
Nach der triumphalen Uraufführung wird Eliasberg beauftragt mit dem Rest des Rundfunkorchesters diese Symphonie in Leningrad - die Stadt hat soeben einen grauenvollen Winter überstanden - aufzuführen. Verstärkung sind andere Musiker aus der Stadt sowie aus den Militärkapellen. Das Buch endet in der Vorbereitung für diese Aufführung.
Dritter Strang ist der Musiker /Violinist Nikolai und  - da seine Gattin gestorben war - seine Liebe zu der präzisen Tochter Sonja (und dem Cello von Mutter und Tochter). Er glaubt sie lange verloren, da es schlechte Nachrichten über einen Zug mit evakuierten Kindern (und seiner Sonja) gibt.

Für Leser/Leserin die sich mit klassischer Musik und deren Komposition beschäftigen ist dieses Buch sehr sehr gelungen. Es ist spannend der Fiktion zu folgen wenn aus Ehegezänk, Bombardement im Schutzkeller oder salbungsvollem Gesäusel eines linientreuen Notenschreiberlings plötzlich Ideen zu der siebenten Symphonie auftauchen und Dmitri Schostakowitsch einen Weg findet sich die Melodie / den Aufbau zu merken. Der Druck etwas schaffen zu müssen, ist auch spürbar - ebenso wie die Leere danach, die manchmal in einem Wodka-Exzeß endet.

Das Buch ist faszinierend mit seinen Menschenbeobachtungen und Schilderungen und fast schrecklich mit seinen Beschreibungen des Elends der Menschen in der blockierten Stadt. Es ist fast unvorstellbar welchen Hunger, welche Kälte und welche Schmerzen diese Menschen ausgehalten haben - oder auch nicht. Im Roman überleben die meisten der Bezugspersonen.

Neben dem Schrecken der Belagerung und der Bombardierung verliert der Terror den Stalin vor dem zweiten Weltkrieg ausgeübt hat, nicht seine angstvolle Wirkung. Immer noch nicht trauen sich die Menschen etwas ehrlich miteinander zu sein - und sie haben recht damit.

Beim Querlesen/Recherche im Internet über die handelnden Personen fällt auf, daß die Aufführung aus dem belagerten Leningrad tw. genannt wird, oft aber neben den berühmten Dirigenten und Aufführungen nicht genannt wird. Eine andere Quelle meinte sinngemäß etwa : 'als wir Deutschen diese Musik hörten, wußten wir, daß wir diese Stadt nicht besiegen werden.'

Das Buch ist für jeden Musikfan empfehlenswert - ich habe die Sätze der Symphonie nach Kapitelende auf CD jeweils nachgehört. Die Atmosphäre ist dicht beschrieben, die Menschen sehr gut vorstellbar, die Stadt mit Überlebenswillen und Elend packend und unter die Haut gehend gezeichnet. Ich kann diesen Roman nur wärmstens empfehlen.

Samstag, 8. Dezember 2012

Leonie Swann : "Glennkill"

Leonie Swann :
"Glennkill" - ein Schafskrimi
2005, Wilhelm Goldmann Verlag, München
12. Ausgabe 2007
2 Seiten Dramatis Oves (die wichtigen Schafe der Handlung)
366 Seiten
ISBN 978-3-442-46415-9

Mit Daumenkino  von Weibke Rossa und Richard Igel :-)
(Daumenkino: hier ein tanzendes Schaf im rechten unteren Eck der rechten Seite - entzückend !)

Der Schäfer George Glenn wird von seiner Schafherde tot aufgefunden - eine Schaufel in seinem Körper finden auch die Schafe dubios, allen voran das intelligenteste Schaf der Herde Miss Maple (sie hatte in ihren Jugend den Ahornsirup vom Brot des Schäfers geschleckt). Die Schafe mit Leitwidder Sir Ritchfield, beobachten, erlauschen und erriechen die Reaktionen der Menschen auf den Tod ihres Schäfers. Komisch kommt ihnen das Gerede von 'Gras', denn warum sollte man das verstecken müssen, wenn es vor der Nase wächst. Miss Maple schafft es mithilfe von Othello, einem vierhörnigen schwarzen Widder, der das Zeug zum Leitwidder hat, und Mopple the Whale, einem dicken flauschigen Merinowidder mit Supergedächtnis, den Rest der Herde zu motivieren, daß es gerecht ist beim Tod des Schäfers zu helfen. Die Menschen sind wenig hilfreich : ein Mann den sie Gott nennen, weil er in einem Haus mit spitzen Dach wohnt, riecht ungut; dem Fleischhauer Ham mißtrauen sie aus logischen gründen und weil er komisch riecht, auch der zwischendurch Schäfer Gabriel stellt sich als schlechter Mensch heraus. Nur eine Frau in rotem Kleid ist nett zu den Schafen. Im Testament stellt sich heraus, daß die Herde die allen Menschen komisch vorkam, die letzte Herde Irlands ist, in der alte fast ausgestorbene Schafrassen gezüchtet werden, und daß sie - die Schafe - das Geld für eine Europareise geerbt haben. Die Frau im roten Kleid wird sich darum kümmern.
Beim Wettbewerb des intelligentesten Schafes spielen die Schafe eine Charade um der Klärung des Todes ihres Schäfers nachzuhelfen, was klappt.

Das Buch ist kein Reißer oder Thriller, sondern ist gemütlich wie eine grasende, nur manchmal nachdenkende Schafherde. Wer Spannung erwartet, wird enttäuscht. Wer bereit ist, sich auf die Schilderungen der unterschiedlichen Schafe, ihrer Temperamente und Intelligenzen einzulassen, wird humorvoll unterhalten.

Etwas metaphysisch sind die Teile in denen Melmoth auftaucht, seine Beiträge liefert, und dann wieder verschwindet. Ob es Wolkenschafe wirklich gibt ? Ob ein Schaf wenn es stirbt ein Wolkenschaf wird ? Melmoth war Zwillingsbruder von Sir Ritchfield, der jahrelang verschollen war, und plötzlich wieder der Herde hilft, indem er ihnen gedanklich weiterhilft, sich dann aber plötzlich auflöst und (wieder) verschwindet. Bei Othello hat er den stärksten Einfluß, da er ihn gedanklich - als Stimme aus dem off - schon lange begleitet hatte.

In Summe ein schönes Buch, bei dem etwas Geduld von Nöten ist, das mir mit seinen Schilderungen von Schafen, von Landschaft, und der nicht-Hektik sehr gut gefallen hat.