Dienstag, 20. August 2024

Michael Köhlmeier : "Matou"

Michael Köhlmeier :                                                                                          
"Matou"
2021, Hanser Verlag
947 Seiten + rotes Lesebändchen
ISBN 978-3-446-27079-4 

Matou ist ein hübscher roter Kater mit weißer Schwanzspitze, der bereits in seinem ersten Leben entdeckt, daß er menschliches Sprechen lernen kann. Später lernt er auch Lesen, und liest sich im Laufe des Romans durch die Enzyklopädien, Romane, Philosophischen Traktate der Weltgeschichte des Menschen.
Im ersten Kapitel lebt er zur Zeit der französischen Revolution bei Camille Desmoulins, dessen Frau, Kind und Schwiegermutter und lernt auch die wichtigen Menschen der französischen Revolution kennen. Der Kater lernt Liebe, Romantik, Charme, Machtspiele kennen. Und menschliches Sprechen
Für das zweite Leben sucht er sich das Leben bei E.T.A. Hoffman und seiner Frau aus. Hier lernt er Lesen. Hoffmans Frau ist allerdings sehr mißtrauisch. Später unternimmt er eine Schiffreise, überlebt im Dschungel und perfektioniert sein intrigantes Spiel indem er Menschen gegeneinander aufhetzt.
Im dritten Leben lebt er auf einer Insel mit anderen Katzen, schwingt sich mit einigen Schlägerkatzen um Diktator auf, hält manipulative Reden, erzählt eigenartige Narrative und kommt am Schluß drauf, daß ihn auch das nicht interessiert.
Im vierten Leben ist er in Afrika und lebt als Leopard, erzählt die Übergriffe aus dem belgischen Königreich auf deren Kosten viele Menschenleben gingen und zieht mit einem verstümmelten Mädchen als Albtraumerinnerung durchs Land.
Das fünfte Leben ist in Prag bei einem Ehepaar mit dick gefüllter Bibliothek, deren Enzyklopädie er liest. Paulina Bartok ist eine sensible Künstlerin, die das Wilde sucht. Bei Kriegsausbruch 1914 ist alles vorbei.
Sein sechstes Leben verbringt er in den USA, was für europäische Katzen sehr ungewöhnlich ist. Er hat sich Andy Warhol ausgesucht, weil er sich ein luxuriöses Leben gewünscht hat und eine große Bibliothek, was beides nicht geklappt hat.
Im siebenten Leben ist er in Wien, und wohnt bei einer netten älteren Frau und ihrem etwas faden Neffen, den er bereits als Kind tröstet. Der Neffe studiert Philosophie und der Kater hilft ihm dabei, und versucht ihm die Wichtigkeit von Charme beizubringen.

Zwischen den verschiedenen Leben erzählt der Kater vom Leben im "Weggemachten" mit den anderen Katern und Katzen in der Zeit zwischen den sieben (europäische Katzen) bis neun (amerikanische Katzen) Leben der Katzen.
Eine der Katzen merkt sich wie Matou (wie er sich selbst nennt, auch wenn ihm Menschen anderen Namen geben) die verschiedenen Leben; Fragnichtchen ist eine schöne Katze mit blauen Augen, die Matou vom dritten bis fünften Leben immer wieder trifft.

Die Geschichte ist aus Ich-Sicht des Katers geschrieben, und springt dementsprechend auch in den Erzählebenen, und es gibt jede Menge Hinweise auf andere Leben.

Es gibt lange Abhandlungen über den "Charme", wer ihn hatte oder gehabt haben mag, und wie man Charme lernen kann. Viel ist über Macht und Machtspiele zu lesen. Matou vergräbt sich auch in die Werke der großen Philosophen und versucht damit den Menschen zu entschlüsseln, denn ihm bleibt immer unklar warum manches für Menschen wichtig ist und einiges nicht.

Da ich zugegebenermassen den Stil des Autors sehr mag habe ich mich in die langen Sätze, komplizierten Schachtelungen gerne eingelassen.
Es gibt viele Hinweise und lange Leselisten für weiterführendes Lesen.

Ich habe fast drei Jahre an diesem Buch gelesen, das mich zwar sehr interessiert hat im Sinne von wie geht es weiter, mußte aber meinen Widerwillen gegen diesen obergescheiten arroganten intriganten und eigentlich mir nicht sympathischen "Kater" kämpfen.

In Summe ein wunderbares Buch, das mich viele Stunden gut unterhalten und in den Bann gezogen hat.

Michael Johannes Maria Köhlmeier wurde am 15. Oktober 1949 in Hard (Vorarlberg) geboren. In den 70-er Jahren begann er mit Hörspielen, in den 80-er Jahren wurden die ersten schriftstellerischen Arbeiten veröffentlicht.

Mittwoch, 14. August 2024

Beate Maly : "Tod am Simmering"

Beate Maly :
"Tod am Simmering"
2016, Emons Verlag
262 Seiten + 2 Seiten Nachwort
ISBN 978-3-95451-995-8

Ernestine Kitsch, eine pensionierte Lateinlehrerin, erhält Karten für einen Tango-Kurs in einem illustren Hotel am Simmering, und hat als Begleitung den Apotheker Anton Böck auserkoren. Im Hotel treffen sie auf einen Arzt und seine Schwester, eine Bankierswitwe und Sohn, Industriellen Ehepaar und Industriellen Familie, einen Chemiker, das Tanzpaar und seine Musiker und sehr wenig Personal im Hotel. Bereits am ersten Abend prallen die Temperamente und intolerante arroganten Manieren aufeinander, was Ernestine mit Neugier für Menschen lebhaft stimmt. In der ersten Nacht wird ein besonders unangenehmer Mann ermordet und alle Beteiligten finden sich eingeschneit im Hotel. Ernestine organisiert mit ihrer natürlichen Autorität Untersuchungen und Gespräche, ein zweiter Mord passiert, bis am Schluß die Lösung kommt.

Neu für mich waren die Informationen, daß Ende des ersten Weltkrieges chemischen Waffen in Kombination eingesetzt wurden, das "Buntschießen" genannt wurde und hier viele Soldaten und Zivilisten um eine weitere erbärmliche Art starben; einige wurden mit diesen chemischen Versuchen reich.

In die Kriminalgeschichte ist eingebaut, daß die sozialistische Arbeiterpartei Zulauf erhält damit Kinder überhaupt und bessere Ausbildungen erhalten (können). 

Die Typen und Menschen dieser Geschichte sind schön und detaillreich geschildert, ohne zu ausführlich zu werden. 

Eine Liebesgeschichte bahnt sich auch, und auch die zarten Bande zwischen Ernestine und Anton werden stärker.

Meist ist das österreichische Deutsch gewahrt, allerdings geht man in Österreich nicht die Treppe 'hoch', sondern die Stiegen 'hinauf'; leider ist hier das deutsche Lektorat zu hart vorgegangen, denn 'hoch gehen' heißt in Österreich wütend werden.

In Summe ist der Kriminalroman sehr gut geschrieben, er unterhält und informiert. Viel Freude beim Lesen !