Samstag, 17. November 2012

Sandor Márai : "Das Wunder des San Gennaro"

Sándor Márai :
"Das Wunder des San Gennaro"
Roman
original "San Gennaro Vére"
Nachlaß Sándor Márai
1997, Ujváry Griff Verlag, München
Aus dem Ungarischen übersetzt und mit einem Nachwort von Tibor Simányi
2004, Piper München Zürich
274 Seiten
1 Seite Widmungen an die Menschen in Posillipo
4 Seiten Nachwort und 1 Seite Biographie des Übersetzers
ISBN 3-492-27044-1

Das Buch ist kein Roman im Sinne einer logisch erzählten Geschichte, sondern erzählt in drei Kapiteln zuerst über die Menschen in Posillipo, über den Umgang mit Heiligen und erwarteten Wundern und dann von Flucht, Heimatlosigkeit und Erlösung.

Die Schilderungen im ersten Teil wie die Menschen in Posillipo leben, wie sie von bißchen Essen leben, wie sie mit Armut umgehen, aber auch wie sie zu handeln/feilschen vermögen sind schön gelungen. Fast duften die Mimosen des Frühjahrs dort durch das Buch. Die Schilderungen auch der arrivierten Menschen wie Anwalt, Bürgermeister etc. sind gut vorstellbar. Die Ruhe und Gelassenheit wie die Menschen dort Natur, Leben, Fischen, Trinken erleben, entschleunigen beim Lesen. Das fremde Paar ist zwar vorhanden, aber nicht das Hauptaugenmerk.

Im zweiten Teil wird viel von Glauben, Wunder, und wie mit den Heiligen verhandelt wird erzählt.

Im dritten Teil wird in langen Gesprächen enthüllt, warum der Mann des fremden Paares tot aufgefunden wurde.
Zuerst erzählt ein Polizist der viel mit Flüchtlingen zu tun hat seine Gedanken und Gespräche. Er enthüllt den Kampf der Exilanten um die Akzente ihres Namens (für einen Italiener sind die Hackerln über Vokalen und Konsonanten aus Sprachen wie z.B. Ungarisch, Tschechisch und Polnisch vermutlich höchst anstrengend). Er kannte den toten Mann aus Gesprächen - als intelligenten gebildeten Mann, der außerdem ein Visum nach Australien erhalten hatte.
Dann ist ein Priester im Gespräch mit dem Polizeichef - auch er hatte intensive Gespräche mit dem Toten erlebt. Der Mann hat am Ende des Lebens fast einen Ruf als Heiliger gehabt, der Wunder vollbringen könnte und zu dem alle gekommen waren. Mit dem Priester hatte er viel über Erlösung gesprochen, über die Erwartungen an Heilige, über das Leben des Franziskus von Assisi und ob so ein Leben im 20. Jahrhundert möglich wäre.
Das letzte Gespräch findet zwischen der Lebensgefährtin des Mannes und einem x-beliebigen Priester statt. Sie erzählt von der Flucht, den dem nicht mehr leben können wenn man rundherum die Repressalien mitkriegt, auch wenn persönlich noch alles gut läuft. Sie erzählt wie man langsam aber sicher die Identität verliert auf der Flucht - bei jeder Übersiedlung geht etwas mehr von verloren. Sie erzählt wie sie beide in Assisi wieder das Leben spürten, aber auch klar wurde, daß der Mann einen anderen Weg als die Frau gehen würde.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen, sondern hat bei mir einiges an Konzentration und Vorstellungsvermögen gefordert. Die Schilderungen im ersten Teil und die Dialoge im dritten Kapitel haben mich stark berührt.

Es ist auch ein politisches Buch, denn es fragt an warum für so viele Menschen klar war, daß der Nationalsozialismus wie er im dritten Reich gelebt wurde, unmenschlich und verbrecherisch war, aber diese Bewertungen nicht für den Bolschewismus galten. Hier hatte man noch versucht eine Menschlichkeit zu erkennen, die es längst nicht mehr gab.

In Summe ist das Buch sehr empfehlenswert, weil es helfen kann die Probleme der Nachkriegszeit in Europa zu verstehen, die Probleme von Menschen in Exil zu sehen und sehr gut geschrieben ist.

Sándor Márai wurde 1900 in Kauschau (heute Slowenien) geboren, er verließ 1948 Ungarn und lebte mit Frau und Adoptivsohn danach bei Posillipo bei Neapel. Hier schrieb er vermutlich "Das Wunder des San Gennaro", das der Autor in Amerika Mitte der 60-er im Eigenverlag publizierte. Er schrieb alle seine Bücher im Exil auf ungarisch. Später wanderte die Familie nach Amerika aus, wo Márai 1989 in San Diego durch Selbstmord verstarb.

Der Übersetzer Tibor Simányi wurde 1924 geboren, war Verlagslektor, Rundfunkredakteur, Übersetzer und Buchautor. Eines seiner Bücher ist der Briefwechsel zwischem ihm und Sándor Márai.

1 Kommentar:

  1. Kassa,die ehemalige ungarische Stadt liegt nicht in Slowenien, sondern in den von uns Ungarn geraubten Gebieten der heutigen Slowakei.

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