Ivo Andric :
"Wesire und Konsuln"
Roman
original "Travnicka hronika"; 1945 fertig geschrieben
The Ivo Andric foundation, Beograd, Serbia
Deutsch von Hans Thurn, überarbeitet von Katharina Wolf-Grießhaber
2016, Paul Zsolnay Verlag (erstmals 1961 auf deutsch)
5 Seiten Prolog + 622 Seiten + 3 Seiten Epilog aus 1942 + 4 Seiten Verzeichnis fremder Ausdrücke + 12 Seiten Nachwort von Karl-Markus Gauß
ISBN 978-3-552-05802-6
Jean Daville wird 1806 unter Napoleon in die Stadt Tavnik gesetzt. Dort ist er der erste französische Konsul, der erste Konsul überhaupt, der sich in diesem Ort mit den örtlichen Gegebenheiten, dem dortigen Sultan, den dortigen Begs, Menschen mit vier verschiedenen Religionen, und vielen Stämmen auseinander setzten muß.
Zur Unterstützung ist ihm als Kanzler des Fossés zugeteilt, der weltoffen und vertrauensselig durch die Stadt und Gegend reitet und versucht in Kontakt mit den Menschen vor Ort zu kommen.
César d'Avenat ist als Übersetzter zuteilt und ein intriganter Mensch.
Viel später entsendet auch Kaiser Franz aus Österreich seinen Botschafter nach Travnik. Oberst Joseph von Mitterer hat auch Familie, allerdings keine so unterstützende, sondern eher kapriziöse.
Ihm zur Seite steht als Dolmetscher und Büroangestellter Nikola Rotta, ein Mensch aus einfachsten Verhältnissen, der es mit Arbeit und Strebsamkeit geschafft hat, die Karriereleiter so weit zu erreichen; als mißmutischer und hochmütiger Mensch hat er es nicht einfach.
1811 kommt ein neuer Konsul - der gutaussehende, perfekte aber kalte Oberstleutnant von Paulich.
Nach der Niederlage Napoleons und den Verhandlungen im Wiener Kongreß 1815 werden beide Konsulate aufgelöst, und die Region lebt ihr gewohntes Leben weiter.
Den Botschaftern aus Frankreich und Österreich steht der lokale Wesir gegenüber, der meist zur Strafe nach Travnik entsandt wird. Diese Botschafter sind menschlich komplett unterschiedlich. Während Mechmed-Pascha ein betont joviale Oberfläche hat unter der er bedenkenlos Menschen beseitigt, ist der Ibrahim-Pascha ein nachdenklicher Mensch der seine großen Schmerzen beim Bewegen verbirgt und loyal zu seinem ehemaligen Herrn, Selim III, mit dem er auch untergehen wird. Der dritte Wesir Ali-Pascha ist ein Mann des Militärs, der sofort Leute einer Liste folgend enthaupten läßt
Der Roman ist grandios geschrieben. Sowohl die Landschaft mit langem dunklen Winter, aber schönen Periode in Frühling-Sommer-kurzen Herbst, der das Gärtnern erlaubt sind spürbar beschrieben.
Auch die unterschiedlichen Menschen in der Stadt mit vier unterschiedlichen Religionen, mehreren Stämmen, allen Schichten von besoffenem Sänger bis quasi Arzt, die Agas und Alteingesessenen.
Selbst die Fratres sind unterschiedlich und variantenreich gezeichnet.
Viel Zeit ist für die Beschreibungen der Persönlichkeiten aufgewandt. Sie sind nicht nur körperlich beschreiben, sondern in ihrem Wandel und wie sie versuchen sich an die vielen Ungemütlichkeiten und Mühsale vor Ort anzupassen.
Bei diesem Buch war ich gefordert jede Zeile bewußt zu lesen; einen Absatz einfach quer zu lesen, ging für mich beim Lesen nicht. Es zahlt sich für mich aus Zeit beim Lesen dieses Buches aufzuwenden.
In Summe ist das Buch nicht nur geschichtlich wichtig, da es Verständnis für die aktuellen Probleme dieser Region bringt, sondern auch für mich grandios geschrieben. Viel Freude beim Lesen !