Freitag, 13. Juli 2018

Ingrid Betancourt : "Kein Schweigen, das nicht endet"

Ingrid Betancourt :
"Kein Schweigen, das nicht endet" - Sechs Jahre in der Gewalt der Guerilla
original "Même la silence a la fin"
2010, Gallimard Paris
Aus dem Franzöischen von Maja Ueberle-Pfaff, Elisabeth Liebl und Claudia Feldmann
2012, Knaur
736 Seiten + 3 Seiten Inhaltsverzeichnis
ISBN 978-3-426-78414-3

Detailreich erzählt die Autorin von der Gefangennahme, den Jahren im Regenwald mit den unterschiedlichsten Gruppen der FARC bis zur Befreiungsaktion.

Sie erzählt von den Wäldern, den Flüssen, den Tieren und den Menschen denen sie begegnet ist. Sie erzählt gut vorstellbar vom Gruppenterror, von der Angst bei den Wanderungen und lebensgefährlichen Klettereien durch den Regenwald und an Felsen, von der Enge in Schiffen, aber auch von Demütigungen sei es durch angekettet sein, durch Mobbing in der Gefangenengruppe (aus Angst ums eigene Leben oder weil nichts zu tun war) oder was ihr als einziger Frau an sexuellen Respektlosigkeiten zugemutet wurde.
Da sie schon vorher eine bekannte, weil politische Gestalt in Kolumbien war und weil sich Frankreich (dessen Doppelstaatsbürgerschaft sie hat) für sie eingesetzt hat, fühlte sie sich Gehäßigkeiten durch Neid ausgesetzt. In der Aufarbeitung anderer Mitgefangener in der Freiheit wird klar, daß die Sonderbehandlungen und Sonderaufmerksamkeiten von außen und daß für anderen Gefangenen wenig bis gar nicht gestritten wurde, offene wunde Punkte für strapazierten Seelen der Menschen verursachte.
Spannend sind die unterschiedlichen Farc-Gruppen geschildert: es gibt Teenagergruppen die noch etwas lockerer und freundlicher waren, durchgedrillte Soldaten ohne Fragen, die unterschiedlichen Geliebten der Gruppenführer die manchmal halfen oder auch intrigierten, die durchaus brutale Hackordnung in den Gruppen bis hin zum Kommando an Guerillafrauen die auf Zuruf Geliebte werden mußten. Manche Gruppenführer hatten etwas Respekt vor den Gefangenen, die anderen (die gefühlte Mehrheit) spielten rücksichtslos ihre Macht aus.

Sie schreibt, daß sie sich oft an der Bibel (es gab wenig Probleme eine als Gefangene zu erhalten) und wenn möglich mittels eines Lexikons das Denken erhalten hat. Manchmal durfte sie anderen Gefangenen Sprachen beibringen, wie einem der Amerikaner spanisch und einer anderen Gefangenen französisch.

Mich haben die vielen Details der langen "Reise" fasziniert, in denen die unterschiedlichen Lager, Toiletten, Quasi-Gefängnisse, aber auch Flüsse, Bäume, Blumen und Papageien, Kaimane, Seeschlangen geschildert sind. Hier frage ich mich ob und wie man sich die Autorin das gemerkt hat, ob sie nachrecherchiert hat oder ob beim Schreiben die Erlebnisse aufgepoppt sind und verarbeitet werden konnten.

Der Titel ist einem Gedicht von Pablo Neruda entnommen.

Das Buch ist als Buch schön geschrieben, mit vielen Beschreibungen und mit dichten, vielschichtigen Worten fast farbig geschildert (und übersetzt).

Mich hat dieses Buch in den Bann gezogen, und ich empfehle es gerne trotz seiner hohen Seitenzahl weiter. Achtung : manche der geschilderten Erlebnisse wirken nach und lassen erst langsam los.

Ingrid Betancourt, geb. am 25. Dezember 1961 in Bogotá, studierte Politik in Paris. 1989 kehrte sie mit ihren Kindern nach Kolumbien zurück, wo sie von 1994 bis 1998 Abgeordnete im Repräsentantenhaus war. Sie erhielt Morddrohungen und brachte 1996 ihre Kinder ins Ausland, eine Erfahrung, die sie in ihrem ersten Buch »Die Wut in meinem Herzen« beschrieb. Als Präsidentschaftskandidatin auf Wahlkampftour, wurde sie am 23. Februar 2002 entführt und erst am 2. Juli 2008 aus der Hand der FARC-Guerilla befreit. Heute lebt sie in den USA und Frankreich.

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