Sonntag, 28. Oktober 2018

Marlene Streeruwitz : "Nachkommen"

Marlene Streeruwitz :
"Nachkommen"
Roman
2014, S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt
328 Seiten
ISBN 978-3-10-074445-6

Die junge große gutaussehende Nelia Fehn hat ein Buch geschrieben. Am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse wird in Großvater in Österreich begraben, bevor sie nach Frankfurt abfliegt. Bei der Buchmesse gewinnt sie den begehrten Buchpreis leider nicht - sie hätte das Geld für die Operation ihres griechischen Freundes gebraucht. Sie lernt ihren biologischen Vater kennen, wird am Verlagsmarkt präsentiert, absolviert zwei Interviews und merkt wie wenig sie in das Bücherbusiness hineinpaßt. Erschwerend kommt dazu, daß ihre Mutter mit dem Literaturbetrieb gut umgehen konnte, und etabliert war; sie wird immer mit ihrer Mutter, die gestorben war als Nelia 16 war, verglichen.

Der Roman ist aus Sicht der jungen Frau / der Autorin geschildert. Ihre Handlungen und Gedanken und Eindrücke werden beschrieben. Bei ihren Gedanken handelt es sich oft um nicht um ganze Gedankengänge, sondern oft um Gedankenfetzten, einzelne Worte, Assoziationen. Manches dreht sich im Kreis und droht sich tot zu laufen, manche Gedankenstränge machen sich quasi selbstständig und es entstehen teilweise skurrile Ideen und Wortschöpfungen.
Es geht unter die Haut wenn sie beschreibt, daß sie als spät gekommenes Kind ihrer Mutter von fast allen ihrer Familie abgelehnt wurde. Nur eine Freundin und deren Freund in Griechenland schaffen es nach der Mutter Tod eine Art Heimat zu geben. Nur der Großvater war für sie eine positive Gestalt innerhalb der Familie, der sie in ihrer offenbar Andersheit akzeptiert hat. (Das anders sein waren die illegitime Geburt und daß sie ihrem Vater ähnlich sieht).

Das Thema Banken und Griechenland wird durch die Bankenhochbauten in Frankfurt – es werden keine Menschen geschildert – und ihren Freund Marios an dessen Existenz die Bankenentscheidungen gehen geschildert.

Skurril lesen sich Beobachtungen wie über den elektronischen Kartenschlitz im Hotel für eine Nacht, die senffarbene Wand in der Hotelabsteige für die Folgenächte, die vielen schwarzen Suvs und das Fehlen roter Autos auf den Straßen.
Die Beschreibungen der Buchmesse von Autorenseite war faszinierend : das Warten auf den Preisverleih, die Machtspiele der Autoren/innen untereinander, wie sich Verlagsvertreter untereinander benehmen, das unterschiedliche Benehmen von Literaturjournalisten/innen. Dazu werden Generationenkonflikt und Genderthematik gemischt, daß es teilweise beim Lesen weh tat.
Liebe ist leider fern. Denn zwischen ihrem Vater aus dem Bildungsbürgertum Frankfurts und ihr, die ihn erst spät und jetzt kennen lernt, sind keine Brücken möglich. Seine aktuelle Freundin ist so junge, wie sie - seine Tochter. Liebe sind nur in den sms-s mit Marios in Griechenland spürbar.
Spannend ist das Ringen der fiktiven Autorin um Qualitätsbegriffe im Buchbetrieb, wenn sie ihr Buch nicht nur Buch, sondern Roman genannt haben möchte. Und daß sie bewußtes Definieren von Literatur und Belletristik wünscht.
Den zerfransten Schreibstil muß man mögen. Mich hat er in den Bann gezogen. Viel Freude beim Lesen !
Marlene Streeruwitz wurde 28. Juni 1950 in Baden (Niederösterreich) geboren. Sie studierte Slawistik und Kunstgeschichte in Wien. 1992 wurde ihr erstes theaterstück aufgeführt. Ihr erster Roman "Verführungen. 3. Folge. Frauenjahre" erschien 1996. Mittlerweile ist sie vielfach ausgezeichnet.

Montag, 22. Oktober 2018

Sonja Birgmann : "Punschkrapfen, Kipferl und ein Mord"

Sonja Birgmann :
"Punschkrapfen, Kipferl und ein Mord"
2017, Emons Verlag
184 Seiten
ISBN 978-3-7408-0042-0

In diesem fröhlichen und "süßen" Kriminalroman wird die muntere Bäckerin Emma in einen Mord an einem Fernsehmoderator verwickelt. Das Fernsehteam, da ihre erotischen Bäckereien für eine Bäckerei-Serie filmt, ist für den Mord genauso verdächtig wie sie. Rundherum gibt es böse Beobachtungen über die Journaille und Paparazzi. Emmas Bruder Hendrik bei der Polizei und dessen Chef Detlev sind engagiert beim Ermitteln; ihre beste Freundin Melanie aus Wien und die Nachbarn mit verteidigungsbereitem Hund helfen die Sache durchzustehen bis endlich die mittlerweile zwei Morde gelöst sind.

Die Rezepte sind bei diesem Buch nicht abgedruckt, aber die Vorbereitungen machen Spaß zu Lesen und können durchaus knurrenden Magen auslösen.
Witzig sind die nicht immer jugendfreien Beschreibungen der Backwaren. Das Szenario macht zu Lesen Vergnügen.

Die Menschen sind lebhaft und gut vorstellbar geschildert. Emma mit roten Locken und Temperament, ihr nordisch wirkender Bruder der kühler wirkt es aber im Job als Polizist nicht ist, das Sammelsurium an aalglatten bis normal freundlichen Menschen im Fernsehteam, und auch die verschiedenen Typen im Kommissariat sind variantenreich geschildert.

Ort der Handlung ist eine Bäckerei bei/um Linz in einer nicht so eleganten Gegend, dafür aber guten Freunden. Sonst ist wenig Lokalkolorit gemacht und auch nicht notwendig.
Zum Schmunzeln bringt eine Party im Lentos - bitte selber lesen :-).

In Summe ein herrlich unterhaltsamer Kriminalroman. Als Geschenk würde ich allerdings Punschkrapferln dazu verpacken. Viel Spaß !

Sonja Birgmann wurde an einem 14. Februar im Mühlviertel (Oberösterreich) geboren. Sie studierte in Wien Theater-Film-Medienwissenschaften. Der erste Kriminalroman dürfte 2011 erschienen sein. 

Dienstag, 16. Oktober 2018

Longlist 2018 / Shortlist Debüt 2018

Longlist 2018 / Shortlist Debüt 2018
2018, Österreichischer Buchpreis
1 Seite Vorwort + 2 Seiten Inhaltsverzeichnis + 106 Seiten Gedichte/Textausschnitte/ je 1 Seite mit Cover des Buches + 2 Seiten Jury

Mareike Fallwickl: dunkelgrün fast schwarz (Frankfurter Verlagsanstalt)
 - Romanausschnitt : ein junger werdender Vater spricht mit dem Kind im Bauch seiner Freundin, bis sein bester Freund auftaucht; eine Mutter beschreibt wie die drei Kinder das neue Haus erkunden
Milena Michiko Flasar: Herr Kato spielt Familie (Verlag Klaus Wagenbach)
 - Romanausschnitt : ein Mann ist in Pension gegangen und kann sich nicht an das langsamere Tempo gewöhnen
Arno Geiger: Unter der Drachenwand (Carl Hanser Verlag)
 - Romanausschnitt : Verwundung im Krieg
Gerhard Jäger: Die Nacht über uns (Picus Verlag)
 - Romanausschnitt : nochmals Soldatsein im Krieg, aber eine eigenartige Rückkehr in die Ruhe
Hanno Millesi: Die vier Weltteile (Edition Atelier)
 - Romanausschnitt : drei Kinder bewegen sich durch Räume. sehr lange Sätze.
Margit Schreiner: Kein Platz mehr (Schöffling & Co)
 - Romanausschnitt über vollkommen angeräumte Häuser und Wohnungen; stilistisch schön
Robert Seethaler: Das Feld (Hanser Berlin)
 - Romanausschnitt : Navid der einen Obst- und Gemüseladen hat in einer europäischen Stadt hat und dort durchaus bekannt ist, besucht seine alte Heimat und fühlt sich fremd (leider steht im Text 'wiegte die Aprikosen' statt österreichische 'wog die Marillen')
Heinrich Steinfest: Die Büglerin (Piper Verlag)
 - Romanausschnitt : die Büglerin sind die Arbeit und das niedrige Gehalt dafür als Karma - wofür ?
Josef Winkler: Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Ton ins Herz mir schreibe (Suhrkamp)
 - Romanausschnitt : wieder Kriegsgeschichten denn die Alten erzählen den Jungen wie sie miteinander zu sich und anderen böse Streiche gespielt haben, und alles auf einem Grab.
Daniel Wisser : Königin der Berge (Jung und Jung)
 - Ein Multiple Sklerose Erkrankter möchte im Krankenhaus etwas vom Leben und Genießen haben, was ihm manche dort durchgehen lassen und andere nicht. köstliche Beobachtungen über das Leben im Krankenhaus.

Die Titel der Shortlist Debüt:
Ljuba Arnautovic: Im Verborgenen (Picus Verlag)
- Romanausschnitt : beginnt in Wien 1944 mit Schilderungen der Donau und eines Büros mit Kirchensteuer; die wichtige Sekretärin sorgt sich um jemanden. dichte Atmosphäre.
David Fuchs: Bevor wir verschwinden (Luchterhand Literaturverlag)
 - Romanausschnitt : Tierversuche an einem Schwein und Menschen auf einer onkologischen Station wird wenig einfühlsam, fast flappsig beschrieben.
Marie Gamillscheg: alles was glänzt (HaymonVerlag)
 - Romanausschnitt : Beobachtungenfetzen bei denen ich ausgestiegen bin

Mich hat der Ausschnitt von von Heinrich Steinfest und der Debütantin Ljuba Arnautovic am meisten angesprochen. Ich bin neugierig welches Bücher der Gewinner der Shortlist wird.


Mareike Fallwickl (Mareike Fallwickl-Glavnik): * 1983 in Hallein
Milena Michiko Flasar: * 1980 in St. Pölten
Arno Geiger: * 1968 in Bregenz
Gerhard Jäger: * 1966 in Bregenz
Hanno Millesi: * 1966 in Wien
Margit Schreiner: * 1953 in Linz
Robert Seethaler: * 1966 in Wien
Heinrich Steinfest: * 1961 in Albury (Australien)
Josef Winkler: * 1953 in Kamering (Kärnten)
Daniel Wisser: * 1971 in Klagenfurt
Ljuba Arnautovic: * 1954 in Kursk (Sowjetunion)
David Fuchs: * 1981 in Linz
Marie Gamillscheg: * 1992 in Graz

Freitag, 12. Oktober 2018

Lisa Lercher : "Jenseits auf Rezept"

Lisa Lercher :
"Jenseits auf Rezept"
Kriminalroman
2018, Haymon Verlag
266 Seiten + 2 Seiten Glossar (nieder/österreichische Ausdrücke)
ISBN 978-3-7099-7898-6

Polizist Paul Eigner ist froh wieder in einer (fiktiven) Gemeinde in der schönen Wachau zu arbeiten. Kaum Verbrechen, und nur Einbruchsschulung sind der Ausblick. Diesmal stört die Leiche einer schönen Physiotherapeutin und eine übersinnlich begabte Tochter einer älteren zu Tode gekommenen Frau die Ruhe. Recherchen bei Arztpraxis und Physiobereich bringen einigen Verdächtige. Letztendlich gibt es einen überraschenden Mörder mit sehr klassischem Motiv.
Nebenbei emanzipiert sich seine Schwester von dem seitenhüpfenden Ehemann, und es beginnt sich zarte Liebe bei ihm selbst anzubahnen.

Der Roman ist sehr gut lesbar.
Die dargestellten Personen sind gut vorstellbar : Paul Eigner selbst mit Glatze und gutmütig, seine Schwester die die Marillenernte organisiert tough, der schmierige anlassige Schwager, seine freundliche Tochter und Enkelsohn, der engagierte attraktive junge Arzt, seine bissige als Dame auftretende Mutter, das Physiotherapeutenteam, Polizistinnen mit denen Eigner zusammenarbeitet und einem Fast-Chef mit dem es nur Probleme gibt.

Wer Fußball mag, findet zwei Seiten mit Spielbeschreibungen. Wen es in die Pathologie zieht, der findet auch seine Details.
Der Hintergrund von Abrechnungen an die Krankenkassen und daß es Möglichkeiten zum Mogeln gibt, war interessant zu Lesen.
Die Umgebung der Wachau rund um den fiktiven Ort ist real, und für Wachau-Liebhaber zum Grinsen.

Am Cover ist der Schatten einer Katze; diese Entscheidung des Verlags kann ich nicht nachvollziehen, da in dem Krimi keine Katze relevant ist.

In Summe in sehr nett lesbarer Roman, der gut unterhält und von Wetter, Arbeitssorgen gut abzulenken versteht. Viel Spaß beim Lesen !

Lisa Lercher wurde am 13. Februar 1965 in Hartberg geboren. sie studierte Erziehungswissenschaften und arbeitet dann in Organisationen gegen Gewalt. Zuerst veröffentlichte Sie Sachbücher gegen Gewalt, später entstanden daraus ihre ersten Krimikurzgeschichten und -romane. Ihr bekanntestes Buch "die Mutprobe" entstand 2006 und wurde 2009 mit exzellenten Schauspielern verfilmt.

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Michael Böckler : "Falscher Tropfen"

Michael Böckler :
"Falscher Tropfen" - ein Wein-Krimi aus Südtirol
2018, Rowohl Taschenbuch Verlag
389 Seiten + Anhang 26 Seiten Weine + 22 Seiten Essen und Trinken
ISBN 978-3-499-27349-0

Baron Emilio von Ritzfeld-Hechenstein darf wieder ermitteln. Diesmal beauftragt ihn eine trauende Witwe dem Rätsel um eine Flasche Rotwein zu folgen. Während er den Spuren zu einem Weinfälscher, einem Etikettenfälscher und einem chinesischen Konzern folgt, und eine sehr sehr attraktive Photographin kennenlernt, kommt auch heraus, daß der Verstorbene keinem Unfall zum Opfer fiel und ein zweiter Toter wird gefunden.
Als Nebenstrang ist seine schöne und fröhliche Lebensgefährtin und Weinhauerin Phina mit Flüchtlingskindern beschäftigt.

Wie gewohnt fährt Emilio in seinem alten Land Rover durch die Gegend, genießt Speis' und Trank, philosophiert darüber, und bewahrt sich sein Mißtrauen Menschen gegenüber.

Die Weinfälscherszene in der eigentlich teure Weine mit guten Weinen und Aromen schlecht nachgemacht werden, macht mir wenig Freude, denn dazu genieße ich Wein zu sehr.

Die Menschen inklusive dem etwas überkandidelt gekleideten Emilio und Menschen wie die Witwe Martina, deren Bruder dem Koch Sepp, die Photographin Tilda, Emilios Freundin Phina, Linus sowie Gianlucca sind farbenreich geschildert und gut vorstellbar.
Emilio ist hier im Eisacktal sowie zwischen Eppan und Bozen viel unterwegs. Wenn man die Gegend kennt, ist es schön gedanklich mitzufahren.

Die Geschichte ist schön erzählt und liest sich gut. Ein wunderbarer Kriminalroman für schlechtes Wetter, oder die Urlaubszeit. Viel Sapß beim Lesen !

Lebenslauf 15. Oktober 2015 bei "Mord in bester Lage - Ein Weinkrimi aus Südtirol"

Freitag, 5. Oktober 2018

Andréa del Fuego : "Geschwister des Wassers"

Andréa del Fuego :
"Geschwister des Wassers"
Roman
original "Os Malaquias"
2010,  Língua Geral, Rio de Janeiro
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Marianne Gareis
2013, Carl Hanser Verlag München
198 Seiten
ISBN 978-3-446-24331-6

Die Malaquias ist eine Familie, bei der die Eltern durch einen Blitz in der Serra Morena sterben, und die drei Kinder aufgeteilt werden. Nico arbeitet am Bauernhof, verliebt sich in Maria und sie bekommen Zwillinge Anesia und Onofre. Antonio ist mit Julia im Kloster. Während Julia bei einer Dame leben darf, entwickelt sich Antonio zum Zwerg. Antonio schließt sich bei Nicos Hochzeit den beiden an. Julia möchte kommen aber es kommt immer etwas dazwischen. Julia bekommt sogar ein Baby, einen Zwerg. Am Ende sind alle am gleichen Schiff; Zufälle verhinden daß Julia wieder Familienanschluß bekommt.
Parallell wird die Geschichte des Grundgrundbesitzers Geraldo, des Geistes Geraldina, des eigenartigen Eneido erzählt, und wie das Wasser das ins Tal gespült wird, vieles inklusive das Dorf vernichtet.

Die Kapitel sind kurz. Sie sind entweder Nico später gemeinsam mit Antonio gewidmet, Julia, oder anderen Handlungssträngen. Selten aber doch verschlängeln sich die Handlungsstränge.

Die Menschentypen sind teilweise bodenständig, teilweise skurril, manche arbeiten, manche tun nichts.
Mich hat am meisten Geraldina fasziniert, die nur kurz Mensch ist, aber meist als Wasser, Schweiß oder sonst in einem wässrig-luftigen Aggregatzustand vorhanden ist.

Die Örtlichkeiten sind einerseits eine Stadt, andererseits einige Fazendas. Das Tal wird zwar mit Wasser überflutet um Strom herstellen, aber sowohl Wasser als auch Strom nehmen ab.

Der Roman ist dicht geschrieben. Die Szenerien laufen vor dem geistigen Auge ab.

Die skurillen Gespräche, Gedanken und Handlungsweisen faszinieren.

Viel Freude beim Lesen dieses Romans.

Andréa del Fuego wurde 1975 in Sao Paulo als Andréa Fátima dos Santos geboren. Sie  studierte Philosophie und ist Schriftstellerin, Journalistin und Bloggerin.