Donnerstag, 31. Mai 2018

Patricia Brooks : "Der Flügelschlag einer Möwe"

Patricia Brooks :
"Der Flügelschlag einer Möwe"
2017, Verlag Wortreich
306  Seiten
ISBN 978-3-903091-27-6

In dem Roman wird das Leben einer Clique die 1980 auf Maturareise ist und dreier Menschen in Italien zum gleichen Zeitpunkt durch ein Ereignis teilweise sofort aus der Bahn gebracht oder erst später die Puzzleteile zusammengesetzt.
In feinem Stil mit schönen Bildern wir das Leben der Mitglieder der Wiener Clique in Liebe, Leben und Beruf geschildert. Tati, die die Ermordung eines Menschen gesehen hat, dessen Leiche aber verschwunden ist, wird aus dem verläßlichen Menschen unberechenbar; die schwebende Liebe zu Stefan wird unerfüllt bleiben. Willi, der Geld an dem Mordort gefunden hatte, schafft es frei zu leben und beruflich weiterzukommen. Fred wird Banker, von der Wirtschaftskrise 2008 erfaßt, und mit seiner dritten Frau, der Tochter einer Freundin der Clique, endlich happy. Rosanna, die zum Mordzeitpunkt das Opfer kannte, wird durch ein Wiedereingliederungsprogramm zuerst in Italien, später in Wien geholfen - sie hatte einst Willi das Geldbörsel gestohlen, 30 Jahre später kommen sie zusammen. Auch der Mörder und Tati sehen einander noch kurz.

Leicht und duftig wie ein Aquarell beschreibt die Autorin die Menschen und die Szenerien; selbst deftige Erotik bleibt in  diesmal dunklen Wasserfarben. Die Kunstszene, die Graffititszene, die Pizzeria die sich zum italienischen Feinschmeckerlokal mausert, die Verquickung und das Auseinanderdriften der Menschen in der Clique und diejenigen die dazukommen ist zart aber auf den konkreten Punkt beschrieben. Es ist faszinierend wie sich der Wirbel um die Clique dreht, zerfällt und anders zusammensetzt - manche sind im Wirbelwind, manche am Rand und andere kommen spuradisch vorbei.

Manche Menschen sind sympathisch, manche nicht, manche ehrgeizzerfressen, andere lassen sich treiben, manche haben in ihrem Tun Glück, andere greifen immer ins Mistsackerl, bei manchen gehen die Lebensziele auf, während andere einer Illusion nachlaufen.

Orte der Handlung sind die Gegend um Triest - Sistiana, Wien, London und kurzfristig das Meer.

Die Kapitelüberschriften tragen Menschennamen, eine Jahreszahl und einen Ort. Die Kapitelüberschriften sind nicht immer chronologisch, finden aber am Schluß zusammen.

Ich habe den Roman in einem Rutsch durchgelesen und die feine schöne Sprache und Metaphern im Kopf sehr genossen. Viel Freude beim Lesen !

Patricia Brooks wurde am 22. November 1957 in Wien geboren. Sie ist freie Schriftstellerin, hat Hörspiele und Theaterstücke verfaßt. Sie hat einige Auszeichnungen für ihre Werke erhalten.

Der Verlag Wortreich wurde in Wien 2015 gegründet. Ziel des Verlages sind interessante Romane im Bereich Belletristik. Derzeit sind 27 Autoren und Autorinnen und 31 Bücher (auf der Website) gelistet.

Montag, 28. Mai 2018

Matthias Martin Becker : "Automatisierung und Ausbeutung"

Matthias Martin Becker :
"Automatisierung und Ausbeutung"
2017, Promedia Verlag Wien
198 Seiten +  22 Seiten Anmerkungen
ISBN : 978-3-85371-418-8

Der Autor hat sich vorgenommen das Thema Digitalisierung im Sinne welche Arbeiten von Menschen werden in Hinkunft von Maschinen gemacht, aus der sozialistisch-marxistischer Sicht (seine Eigendefiniton) zu betrachten. Er arbeitet sich hier anfangs von technischen Spielereien auf Jahrmärkten bis zu Auswirkungen für Arbeiter/innen am Fließband durch. Er beschreibt wie das Zerlegen eines Arbeitsprozesses den Menschen noch mehr entmündigt und frustriert, Maschinen Kontrollmöglichkeiten einräumt und dem oberen Management Daten liefert. Das mittlere Management wird mittelfristig eingespart.

"In der betrieblichen Praxis sehen sich Technisches und Organisatorisches zum Verwechseln ähnlich" (Seite 47)

Sehr interessant fand ich seine Erzählungen über Frau Ada Lovelace (eine geniale Mathematikerin und vermutlich erster Informatiker überhaupt in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts), und Vaucansons Ente von 1885.

Es gibt einige Abkürzungen und Schlagworte wie beispielsweise : KI (künstliche Intelligenz), KNN (Künstliches Neuronales Netz) etc.; Crowdworking (die Leistung wird mit nichts bis zu gewohnter Einkommenshöhe bezahlt, Abhängigkeiten von Willkür der Information), Granularität (die Module werden so klein, daß der Einzelne nicht mehr weiß was sein Arbeitsbeitrag bringt) und Outsourcing und 'Plattform Kapitalismus' (wobei er hier kritisch betrachtet, daß bei Essenszulieferern die Zulieferer selbst Fahrrad + Muskelkraft + Zeit einbringen und die Schnittstelle für vergleichsweise wenig Arbeit viel mitschneidet).

Er versucht Kostenbetrachtungen in der Euphorie für Digitalisierung zu sehen, was bringt die Technisierung wirklich an finanziellen Einsparungen wenn gleichzeitig die Arbeitsnachfrage steigt.

Die Betrachtungen über die Veränderungen der Arbeiter-Welt am Fließband oder bei der Produktion sind eher sachlich geschrieben.
Emotional wird der Autor wenn es um Journalismus, guten Recherche - Journalismus bis zu schlechtem Stundenlohn fürs Zusammentippen von Zeilen geht.

Auf dem Cover war ein Ausblick auf das Arbeitsleben inklusive des Büro-lebens angedeutet. Leider gibt es hier kaum Überlegungen für Änderungen für Büro-Anstellte. Er bleibt eher bei den Arbeitern/innen und den Journalisten/innen, aber die Basis-Büroarbeit bleibt von dem Autor unbetrachtet.

In Summe in nicht einfach zu lesendes Buch, das zwar nicht uninteressant in seinen Überlegungen ist, aber meine Frage nach den Veränderungen der Bürowelt offen ließ.

Matthias Martin Becker wurde 1971 geboren. Er hatte viele sehr unterschiedliche Jobs, bis er als Übersetzer und Wissenschafts/Wirtschafts.Journalist tätig wurde. Er macht jetzt Beträge für Deutschlandfunk in Berlin und hat bereits drei Bücher veröffentlicht.

Sonntag, 13. Mai 2018

Clara Rojas : "Ich überlebte für meinen Sohn"

Clara Rojas :
"Ich überlebte für meinen Sohn"
original "Captive. Otage des FARC, elle accouche au coeurde l'enfer"
2009, Éditions Plon, Paris
Aus dem Spanischen von Stephan Gebauer
2009, Blanvalent Verlag, München
264  Seiten + 13 Seiten Anmerkungen der Autorin und Erläuterungen
ISBN 9787-3-74645-0337-6

Die Autorin war fast sechs Jahre als Geisel der FARC - Guerillos im kolumbianischen Regenwald. Sie beschreibt die Geiselnahme, die Örtlichkeiten an denen sie zu ziemlich unguten Bedingungen mit anderen Geiseln zusammenleben muß, sowie ihre geistigen und körperlichen Überlebensstrategien. Wichtiger Punkt für ihren Überlebenswillen ist die Entdeckung daß sie schwanger ist, die Geburt und das Bewußtsein ihren Sohn zu haben bzw für ein späteres Wiedersehen fit zu sein. Als eine ehemalige Geisel den Medien erzählt, daß es diesen Buben gibt, der nicht bei seiner Mutter ist / sein darf, beginnen die Verhandlungen und ihre Freigabe.

Ich habe das Buch als Gegenpol gelesen, da ich gerade auf Seite 515 von 728 Seiten von Ingrid Betancourts Reflexionen zur gemeinsamen Geiselnahme und Geiselhaft lese und mich die andere Darstellung zu den Ereignissen, Menschen und Ansichten interessiert.

Diese Autorin schreibt ziemlich sachlich, auch wie sie sich ziemlich bald in sich zurückzieht, und in der katholischen Religion ihre geistige und mentale Zuflucht sucht.
Sie schildert das unwürdige Zusammensein der Geiseln, also Menschen die gewohnt waren aktiv zu sein und plötzlich nur noch Hoffen dürfen, und die kleinen Gemeinheiten mit denen sie sich das Leben zu vereinfachen suchen und verletzen.
Die ehemalige Zusammenarbeit, vielleicht auch Freundschaft mit Betancourt scheitert und geht zugrunde. Für die Autorin als nicht junge Mutter war es erstaunlich wie wenig ihr die anderen Mütter (u.a. Betancourt) beistanden und helfen wollten.

Die Abschnitte über den Kaiserschnitt ohne taugliche Mittel und Menschen lassen erstaunen, daß Mutter und Kind zwar später in der Freiheit einige Operationen brauchten, aber in Summe wohlauf sind. (Über den Kindsvater gibt es Schweigen; sie wird es dem Sohn mitteilen, weil es nur für ihn wichtig sein kann).

Sie beschreibt sachlich mit wenig Adjektiven und Adverbien. Die menschliche Brutalität des Einsperrens, ecklige Toilettegruben bis Einsatz von Ketten spricht jedoch für sich.

Als Tatsachenbericht geht dieses Buch unter die Haut, die religiösen Teile waren mir etwas zu viel, die Liebe zu dem Sohn liest sich wunderbar.

Das Buch ist in angenehm großen Buchstaben gedruckt.
Die Ergänzungen zu den Menschen in den Anmerkungen enthalten oft kurze Hinweise auf andere Geiseln, bei denen nicht klar ist wie deren Geschichte ausging.

In Summe ein interessantes Buch. Ob es mich mehr oder weniger anspricht als das der Mitgeisel die mehr mediales und internationales Echo erhielt behalte ich mir bis zum Auslesen des anderen Buches vor.

Clara Leticia Rojas González wurde am 20. Dezember 1964 in Bogotá geboren. Sie ist seit 1992 Rechtsanwältin und 1997 Politikerin für die ökologische Partei 'Oxigeno Verde'. Sie war vom 23. Februar 2002 bis 10. Jänner 2008 bei den FARC als Geisel gefangen. Am 16. April 2004 kam ihr Sohn Emmanuel zur Welt, den ihr die FARC später wegnahm und den sie am 13. Jänner 2008 wiedersah. Sie ist jetzt wieder in der Politik tätig.

Sonntag, 6. Mai 2018

Carolina Conrad : "Mord an der Algarve"

Carolina Conrad :
"Mord an der Algarve" - Anabela Silva ermittelt
2018, Rowohlt Verlag
275 Seiten
ISBN 978-3-499-27112-0

Anabela hört bei einem Besuch bei ihren Eltern von vielen Beerdigungen, die ihr merkwürdig vorkommen, worauf sie nachzufragen beginnt. Parallel wird ein Tourist ermordet und die Polizei fragt um ihre Mithilfe beim Deutsch - Portugiesisch Übersetzen an. Bei den Recherchen über Geschichte und Tote der Familie Aves ist ihr Mário behilflich, bei der Polizei trifft sie auf den sympathischen Chefinspektor Joao Almeida  und den kühlen Inspektor Paolo Pinto. Neugier auf der Suche nach einem geographischen Punkt helfen der Lösung des Touristenmordes, Durchblättern ihres Familienalbums beim Entdecken einen Familiengeheimnisses das zu einigen Toten geführt hatte. Das zweite macht Anabela ziemlich unglücklich.

Der Roman begleitet Anabela / Bela / 'Filha' in ihrem Tun und ihren Überlegungen. Die alte böse Geschichte und ihre Rache sind in kursiv gedruckt und aus dieser Sicht geschildert.

Geschichtlich fließen die konservativ-autoritäre Diktatur unter Antonio de Oliveira Salazar, dem 'Estado Novo' und seine Geheimdiensttruppe PIDE ein, unter denen gesetzlose Übergriffe der Machthaber ohne Chance für die Kleinen gelebt wurde.

Leider kenne ich den Teil Portugals nicht, aber die Schilderungen waren gut und eindrücklich. Sowohl das Dorf ist gut vorstellbar, sowie das Naturschutzgebiet.

An Menschen ist ein schönes Gemisch im Angebot: Anabela selber die mit netten Journalistengeschichten ihr Geld verdient hat aber von ihrem Ehemann einem Politikprofessor für nicht gescheit genug gehalten wird und ihn verliert. Der Ehemann tritt nie auf, es wird nur von ihm erzählt. Bela Eltern sind liebevolle ältere Herrschaften die sich freuen daß die Tochter aus Deutschland zu ihnen in ihre Heimat kommt. Cousin Luis ist gemischt nett bis unfreundlich zu ihr, wobei er mehr über die Hintergründe der eigenen und der Familie Aves weiß. Die deutschen Touristen sind unterhaltsam geschildert. Mário ist attraktiv aber Bela kennt sich bei ihm nicht aus. Der Chefinspektor ist freundlich und tut ihr gut, während der durchtrainierte Inspektor kühl bis unfreundlich ist.

In Summe ein gemütlicher schöner Kriminalroman - ideal für verregnete Tage (da er im Sommer spielt) und als Geschenk. Viel Spaß beim Lesen !

Carolina Conrad ist das Pseudonym für die Journalistin/Autorin Bettina Haskamp. Sie wurde 1960 in Oldenburg geboren, und arbeitete als gelernte Journalistin für WDR und NDR. Nach einer Segelreise auf der das erste Buch entstand, entschied sie sich für das Leben als Schriftstellerin. Sie lebt entweder in Hamburg oder in Ostportugal mit Familie, Katzen, Hund und Esel.