Samstag, 6. August 2016

Werner Bergengruen : "Der Tod von Reval"

Werner Bergengruen :
"Der Tod von Reval"
1939 geschrieben
1949 Peter Schifferli, Verlags-AG "Die Arche", Zürich
1979, Deutscher Taschenbuchverlag, München
dtv-Großdruck 2524
168 Seiten
ISBN 3-423-02524-7

Reval ist der deutschsprachige Name für Tallinn, die estnische Landeshauptstadt. In skurrilen Geschichten wird hier ein dichtes Porträt von eigenwilligen Charakteren, die diese Stadt im Mittelalter und bis in die Neuzeit geprägt haben können gezeichnet.

  'Die Stadt der Toten' ist quasi das Vorwort und lädt ein sich zu jeder Menge Alkohol Geschichten erzählen zu lassen.
  'Bericht vom Lebens- und Todeslauf eines merkwürdigen Mannes' ist die längste Geschichte und handelt vom Herzog von Croy der ein leutseliger unverläßlicher Mann in der Zeit des 30-jährigen Krieges gewesen sein. Er war vielen Herrschern treu oder untreu gewesen und strandete in Reval, wo er ohne Gedanken an Schulden sein Leben genoß, und es ihm leutseligerweisen niemand verbot. Als er starb versuchte man zuerst die Leiche gegen Schuldendeckung zu verhandeln, als die mangels Interesse nicht möglich war mutierte der durch alkohol quasi balsamierte Mann nach seinem Tod zum Geldbringer bis nach weiteren 200 Jahren ein Machtwort gesprochen wurde und er endlich unter der Erde verschwand.
  'Der Seeteufel' war die Kapitänin, Frau eines Kapitäns, die Alkohol an Bord verbot, aber die leider an Bord starb, und in einem Faß mit Alkohol wieder heim gebracht wurde. Der Zustand der Mannschaft brach Bände.
  'Jakubsons Zuflucht' war das Totenbett der gottfrömmigen Witwe Heydenacker, was leider der armen vorgeworfen wurde.
  'Die wunderliche Herberge' war wunderlich, da sie von Doktor Brag eingerichtet worden war, falls jemand lebendig begraben worden war und nun neben dem Friedhof eine Herberge suchte. Seine Haushälterin, die Sebberische, hatte dafür nach seinem Tod zu sorgen. Sie sorgte bei Nachfrage aber auch für junge Paare, leider auch für einen entflohenen Sträfling. Der Polizist erzählte nichts, da er keine Schwierigkeiten wollte.
  'Kaddri in der Wake' erzählt die eigenartige Liebesgeschichte zwischen dem Fischer Tönno und seiner trinkfreudigen Frau Kaddri, die er eines Tages nicht mehr findet. Die Aale fanden die arme Frau, worauf Tönno sich der Liebe besinnt und ihr ein großes Begräbnis ausrichtet.
  'Schneider und sein Obelisk' ist eine glüclich-unglückliges Liebesgeschichte. Schneider liebt seine erste Frau Ebba die zu rasch stirbt, er macht es sich auf dem Friedhof ihr zu ehren gemütlich und lernt Alwine kennen. die beiden heiraten. er stirbt, sie heiratet den Prokuristen "mit schwärzlichem Favoris", sie stirbt, er stirbt - alle 4 haben ein Relief am Grab der Ebba.
  'Der Kopf' gehört dem in der Heimat nicht anerkannten Dichters Magnus Rutz. In Italien leben möchte er seinen Leib in Italien, seinen Kopf aber in Reval bei der "literärischen" Gesellschaft bestattet wissen. Es geht schief, da die Kisten mit Honig und Topf verwechselt werden.
  'Die gelbe Totenvorreitersche' ist eine Frau die es sich zu Ehre gemacht hat jeden Totenzug anzuführen - in gelbem Wams. Sie denkt damit, daß in Ferne jemand ihrem Mann diese Ehre hatte angedeien lassen. Bei ihrem Totenzug gehen auch eine paar Gespenster (lange schon tot Seiende) mit.
  'Abschied' ist der Dank sich diese Geschichten erzählen zu lassen.

Die Geschichten sind ziemlich skurril aber unterhalten gut. Die Personen sind dicht und gut vorstellbar beschrieben. Manches bleibt schräg - die Totenkulte, die Aktionen der Besoffenen und die Reaktionen darauf. Manches ist sehr hinterfragt (Liebe, langanhaltende Trauer, Totenriten etc.), dafür manches überhaupt nicht (junge Paare in Herberge, wer zahlt Schulden, wieso ist der Ruf der Toten befleckt wenn ein Betrunkener nicht merkt daß er neben einer Toten schläft etc.)

Das Buch ist in Großdruck gedruckt, was mir erlaubte die Lesebrille nicht suchen zu müssen.

Wer in dichtes Beschreiben alter Zeit von Mittelalter und Grafen bis zur Neuzeit und hart arbeitenden Fischern eintauchen möchte, ist bei diesen Erzählungen gut aufgehoben. Viel Freude damit !

Werner Max Oskar Paul Bergengruen wurde am 16. September 1892 in Riga geboren, war nach dem Ersten Weltkrieg Journalist und begann ab 1923 zu veröffentlichen. 1936 trat er zum Katholizismus über, 1937 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und lebte danach zurückgezogen in Bayern und Tirol, später in der Schweiz. Er schrieb Romane, Novellen, Erzählungs-bände und Lyrik. Asl bekanntes Buch gilt "Der Großtyrann und das Gericht" dem er die Probleme mit der Kammer verdankte. Er starb am 4. September 1964 in Baden-Baden.

PS: Seine Literatur waren in der kommunistischen Zeit unbekannt und werden jetzt auf estnisch und lettisch übersetzt um die Zeit und Kultur der Deutschbalten der jetzigen Bevölkerung zum Lesen anzubieten.

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