Sonntag, 16. Dezember 2012

Sarah Quigley : "Der Dirigent"

Sarah Quigley :
"Der Dirigent"
Roman
original "The Conductor"
2011, Vintage Books, Auckland
aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
2012, Aufbau Verlag Berlin
2. Auflage (bei der 1. Auflage war eine CD mit der 7. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch beilegt)
378 Seiten
2 Seiten Danksagungen
13 Seiten Anhang: über 1. Dmitri Schostakowitsch 2. Die Leningrader Sinfonie 3. Die Belagerung Leningrads 4. Interview mit Sarah Quigley
ISBN 978-3-351-03502-2

In diesem faszinierenden, gut geschriebenen Roman wird die Geschichte von faszinierenden Persönlichkeiten mitten während der Blockade und Belagerung der Stadt Leningrad zwischen Sommer 1941 und Sommer 1942 erzählt. Die Persönlichkeiten sind der Dirigent Karl Eliasberg, der Komponist Dmitri Schostakowitsch, und der Geiger Nikolai, sowie Freunde und Nachbarn in Leningrad.

Im Hauptinteresse des Buchs steht der Dirigent des Leningrader Rundfunk Orchesters Karl Eliasberg. Er ist Sohn eines Schusters und mußte zuerst sein Violinstudium, nach Verletzungen sein Dirigierstudium hart erarbeiten. Während der Blockade kümmert er sich so weit es geht um seine ziemlich immobile Mutter, die geistig erschreckend abbaut.
Dmitri Schostakowitsch lebt mit seiner Frau Nina, Tochter Galina und Sohn Maxim in der Stadt. Er dürfte sich evakuieren lassen, will aber in Leningrad bleiben. Die ersten drei Sätze der siebenten Symphonie schreibt er in Leningrad - tw. im Beschuß durch Bomben. Alle erwarten Großartiges von dem Werk - eine Art Kriegssymphonie. Den vierten Satz schreibt er in Kuibyschew.
Nach der triumphalen Uraufführung wird Eliasberg beauftragt mit dem Rest des Rundfunkorchesters diese Symphonie in Leningrad - die Stadt hat soeben einen grauenvollen Winter überstanden - aufzuführen. Verstärkung sind andere Musiker aus der Stadt sowie aus den Militärkapellen. Das Buch endet in der Vorbereitung für diese Aufführung.
Dritter Strang ist der Musiker /Violinist Nikolai und  - da seine Gattin gestorben war - seine Liebe zu der präzisen Tochter Sonja (und dem Cello von Mutter und Tochter). Er glaubt sie lange verloren, da es schlechte Nachrichten über einen Zug mit evakuierten Kindern (und seiner Sonja) gibt.

Für Leser/Leserin die sich mit klassischer Musik und deren Komposition beschäftigen ist dieses Buch sehr sehr gelungen. Es ist spannend der Fiktion zu folgen wenn aus Ehegezänk, Bombardement im Schutzkeller oder salbungsvollem Gesäusel eines linientreuen Notenschreiberlings plötzlich Ideen zu der siebenten Symphonie auftauchen und Dmitri Schostakowitsch einen Weg findet sich die Melodie / den Aufbau zu merken. Der Druck etwas schaffen zu müssen, ist auch spürbar - ebenso wie die Leere danach, die manchmal in einem Wodka-Exzeß endet.

Das Buch ist faszinierend mit seinen Menschenbeobachtungen und Schilderungen und fast schrecklich mit seinen Beschreibungen des Elends der Menschen in der blockierten Stadt. Es ist fast unvorstellbar welchen Hunger, welche Kälte und welche Schmerzen diese Menschen ausgehalten haben - oder auch nicht. Im Roman überleben die meisten der Bezugspersonen.

Neben dem Schrecken der Belagerung und der Bombardierung verliert der Terror den Stalin vor dem zweiten Weltkrieg ausgeübt hat, nicht seine angstvolle Wirkung. Immer noch nicht trauen sich die Menschen etwas ehrlich miteinander zu sein - und sie haben recht damit.

Beim Querlesen/Recherche im Internet über die handelnden Personen fällt auf, daß die Aufführung aus dem belagerten Leningrad tw. genannt wird, oft aber neben den berühmten Dirigenten und Aufführungen nicht genannt wird. Eine andere Quelle meinte sinngemäß etwa : 'als wir Deutschen diese Musik hörten, wußten wir, daß wir diese Stadt nicht besiegen werden.'

Das Buch ist für jeden Musikfan empfehlenswert - ich habe die Sätze der Symphonie nach Kapitelende auf CD jeweils nachgehört. Die Atmosphäre ist dicht beschrieben, die Menschen sehr gut vorstellbar, die Stadt mit Überlebenswillen und Elend packend und unter die Haut gehend gezeichnet. Ich kann diesen Roman nur wärmstens empfehlen.

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