Mittwoch, 29. Februar 2012

Carmen Francesca-Banciu : "Ein Land voller Helden"

Carmen Francesca-Banciu :
"Ein Land voller Helden"
Original "O zi fara presedinte"
bei Editura Fundatiei Culturale Române
überarbeitete deutschsprachige Fassung auf der Grundlage der Übersetzung aus dem Rumänischen von Georg Aescht
2000, Ullstein Verlag, Berlin
250 Seiten
ISBN 3-89834-003-1

In diesem starken, aber eigentümlichen Roman geht es um Bruchstücke, die zu einem Ganzen finden sollten, aber so viele sind, daß mehr zerbricht als aufbaubar ist. Angelpunkt ist der Tag des Putsches in Rumänien, an dem Nicolae Ceauseschu auf dem Balkon seines Palastes ausgepfiffen wird (historisch: 21. Dezember 1989) und die Geschehnisse davor in Timisoara.

Eine Gruppe von Freunden wird geschildert - die Bruchstücke ihres Lebens davor und danach betrachtet durch Spitzel u.ä.

Radu Iosif nimmt Bänder auf, behauptet daß er Journalist ist und einen Artikel in einer demokratischen Zeitung schreiben möchte und dafür recherchiert. Es wird behauptet, daß sein Vater "der Fahle" sei - ein Spitzel - und seine Mutter Dona Amara wurde durch seine Geburt für manche zur geächteten Person.

Maxim und Maria-Maria sind verheiratet, haben zwei Kinder, sie geht mit den Kindern auf den Platz gegen den Präsidenten und steckt den Soldaten Blumen in die Gewehrläufe. Maxim ist einige Tage im Gefängnis (ob vor oder nach diesem Tag war mich als Leser nicht schlüssig) - Nachbarn haben ihn angezeigt bzw. mußten ihn anzeigen weil die Securate sonst Schwierigkeiten gemacht hätte. "Der Fahle" hatte Maria-Maria im Cafehaus beobachtet, ihre Kaffeegewohnheiten notiert, damit beobachtet, daß sie schwanger ist, schwanger war (in Rumänien war Abtreibung verboten) und plötzlich war der wahrscheinliche Abtreibungsarzt tot. Maria-Maria glaubt an das Gute und die Menschen.

Ilina & Valer sind ein Paar, oder zumindest wollte Ilina es so. Valer hat über alles geschimpft, alles schlecht gemacht und war meist in Berlin/nach Berlin unterwegs/von Berlin retour unterwegs. Er ist der Halbbruder eines illegalen Auswanderers ins Feindesland Amerika und kann sich nur freimachen, indem er Ilina für Spionage freigibt.

Varvara & Artur. Varavara liebt Artur. Artur stieg am Tag des Putsches auf einen Baum um eine Katze zu retten (die das nicht wollte) und blieb oben, weil er es wollte. Später - viel später - wird Varvara ein Paket mit den Überresten von Arthur erhalten - es wird so zugestellt, daß der Postbote dem Geheimdienst ihre Reaktion übermitteln kann.

Sandra - sie lebt im Licht, und geht darin auf.

Toma, der Tote - er war ein "Held", weil er an dem Tag des Putsches auf dem Platz zu den Ermordeten zählt. Ob die anderen die an dem Tag auch auf dem Platz waren, auch Helden sind, sind sich viele der Beteiligten nicht mehr sicher.

Ein Kapitel widmet Geschichte des LPI - des P.I.Lapusca, der sich kurz zum Bürgermeister ausrufen ließ. Er verlor den Job wieder und machten dann etwas anders. Skurrill in diesem Teil der Geschichte ist der mehrfache Auftritt der Putzfrau, die bei allen Umstürzen und Machtübernahmen dafür sorgt, daß sich alle die Schuhe ausziehen und keiner Mist im Bürgermeisterhaus macht.

Ein anderes einer Frau, einer Nachbarin, die erpreßt wird weil sie früher als Prostituierte gearbeitet hat. Prostition war verboten, und noch mehr waren Devisen und schöne Unterkleidung verboten, was damals nur die gewerblichen Damen erhielten. Falls eine junge Frau dieser Profession der Polizei in die Hände fiel konnte sie sich nur zur Bespitzelung erpressen lassen, sonst war ihr eine Massenvergewaltigung durch zu viele der Securitatemänner sicher.

Der Roman war nicht einfach zu Lesen - er fordert Konzentration. Auch wenn man nicht vergleichen soll, tat ich mich hier leichter als bei einem der Bücher von Herta Müller die ähnliche Thematik und auch ähnlichen Schreibstil hat, bei der ich allerdings nicht durchhalten konnte.

Hier ein Teil eines Absatzes Seite 134 der oben genannten Ausgabe / links unten:
.. "Die Wörter, die diesem Tumult entsprechen könnten. Die kenne ich nicht. Bruchstücke. Nur Bruchstücke kann ich erfassen. Nur Bruchstücke dessen, was uns überwältigte, zum Ausdruck bringen." ....
(ich hoffe damit allen Zitations- und Gesetzesregeln zu entsprechen - wenn nicht bitte um freundlichen Hinweis)

Die Menschen versuchen Konturen zu erhalten und sich als Individuum zu zeigen, werden allerdings von Spitzelei und Gesellschaftskonstruktion gehindert. Auch die Freundschaft der Gruppe, die sich lange ohne Terminvereinbarung getroffen haben, wird zerstört.

Landschaft, Cafehaus, Stadt, Häuser, Gärten werden zwar bißchen geschildert - Fokus sind die Stücke der Menschen, die Sichtweisen, das Aneinandervorbeireden, tw. die Traumwelten. Hoffnung kommt keine auf - alles bleibt grau. Engagement für ein anderes Ideal als das Vaterland wird nicht benötigt, schon gar nicht belohnt.

Ich kann das Buch nur empfehlen. Es zeigt für mich wie geistige Repressalien auf Menschen wirken können, wie Hoffnung im Keim erstickt wird und auch einfaches zwischenmenschliches Leben zerstört werden kann

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