Sonntag, 7. April 2013

Carlos María Domínguez : "Wüste Meere"

Carlos María Domínguez :
"Wüste Meere"
original "mares baldíos"
2005, Carlos María Domínguez
aus dem Spanischen übersetzt von Elisabeth Müller
2006, Eichborn AG, Frankfurt
158 Seiten
ISBN 3-8218-5774-9

In diesem Buch sind sieben wunderschöne dichte Erzählungen abgedruckt, die sich alle mit dem Thema Wasser, Fluß oder Meer beschäftigen. Allen Geschichten ist für mich auch eine Art von Laissez-faire oder auch Toleranz eigen - man läßt dem anderen sein Tun. Die Geschichten sind dicht und schön geschildert, und gehören zu den wenigen Erzählungen die ich gerne gelesen habe und nicht mit dem Gefühl übrig geblieben bin, um einen Teil quasi betrogen worden zu sein.

In 'Johnnys Bekenntnis' lernt ein junger Uruguayer mitten unter seinen argentinischen Schwimmkollegen den großen Star Johnny Weißmüller kennen. Als alternder Star gibt er Masterclasses für die schwimmbegeisterte Jugend. Bei einem Wettschwimmen läßt der Junge den Alten gewinnen, weil er es braucht. Das Idol bekommt Risse, aber mit Menschlichkeit kommen die beiden auf neue Ebenen.

In 'Der Baum mit den Reihern' wird eine winzige Insel mit einem Baum, einer miserablen Hütte, einem Menschen und vielen Reihern von einem Orkan heimgesucht. Obwohl Orkane gewohnt, ist diesmal die nassen und windigen Elemente doch stärker als gewohnt. Der Mensch versucht Hütte und sich zu retten, verliert die Hütte aber überlebt. Die Reiher müssen ihn zwischendurch wärmen.

'Mancuso' ist ein alternder berühmter Pirat. Er versucht mit seiner Crew ein Schiff, das auf eine Sandbank gelaufen ist, zu heben und sich des Guts zu bemächtigen. Der Versicherungsbetrug des Eigentümers inkl. dessen machtvolle Vernetzungen sind stärker als er und seine Crew. Mißtrauen steigt, der Ruhm ist am Ende dahin. Die Mafia hat gesiegt.

'Die Falle im Sand' erzähltvon einem Schiff, das gute und schlechte Frachten gehabt hat und bereits mehrere Namen getragen hatte. Der Kapitän versucht das zu verheimlichen, denn Schiffe mit vielen Namen haben einen schlechten Ruf. Als sie auf einer neuen Sandbank des Rio Plato auflaufen (die Sandbänke sind hier tückisch und flexibel), werden ihm und seinen drei Leuten das Wohl des Schiffes anvertraut. Versicherungen, Beamte, Eigentümer streiten wie es weitergehen soll. Die Crew hält das Schiff bei einem Orkan. Später wird das Schiff gesichtet - es hat wieder einen neuen Namen.

In 'Delta' erzählt ein alter Mann gegen paar Schnäpse die Geschichte eines Mannes der Frau und Kind am Gardasee verläßt um wieder am Wasser zu arbeiten. Er schließt sich Marcia Brooke, einer Piratin in den Flüssen an. Als es durch die Entwicklung immer schwerer wird mit Piraterie Erfolg zu haben, zieht sich die Gruppe zurück. Der Sohn taucht auf und findet statt dem ersehnten reichen Vater ein Wrack, das sein Hirn durch zuviel Alkohol vernichtet hat. Als der Sohn geht, läßt er eine Schachtel zurück - ein Finger mit einem Ehering.

In 'Brände' erzählt ein ehemaliger erster Schiffsoffizier wie er im Irakkrieg auf einem imponierenden hochmodernen Tanker, der mit Inertgasen fährt (unbrennbar), bei einem Überfall und anschließender Panik, leider einen Menschen tötet/töten muß um die Hierarchie aufrecht zu halten. Er rettet damit das Schiff und die vielen Menschen an Mord. Reederei, Ministerium, alle anderen sprechen ihn von Verantwortung frei - nur er kann sich nicht verzeihen und zieht ans Land, mit Blick auf die großen Schiffe im Hafen.

'Eine aufrichtige Unterhaltung' findet zwischen einem polnischen Maschinisten (Mirko) und einem lateinamerikanischen Offizier (Adrede) bei einer Flasche Grappa statt. Jeder spricht nur seine Muttersprache. Sie sprechen von Zweifeln, alten Geschichten und alten Lieben. Keiner versteht die Wort, nur die Mimik. Am Schluß entdecken sie einen erfrorenen Chinesen (blinder Passagier) in der defekt geglaubten Klimaanlage an Bord und wickeln das Geheimnis in beider Fremdsprache (englisch) ab.

Die Geschichten sind zwischen 15 und 20 Seiten lang. Nur die letzte Erzählung braucht fast 30 Seiten.

Alle Geschichten habe ich gerne gelesen, und nach dem fertigwerden etwas nachwirken lassen. Es ist keine Hektik, sondern Gelassenheit vorherrschend.

Die Landschaften und Zustände des Wassers sind schön geschildert. Die handelnden oder erzählenden Personen gut vorstellbar. Kein Knick stört.

In Summe ein sehr schönes Buch, das ich Menschen die sich entspannen und gleichzeitig mit den Gedanken reisen wollen, sehr empfehlen kann.


Carlos María Domínguez wurde am 23. April 1955 in Buenos Aires geboren. Er lebt seit 1989 in Montevideo, wo er als Journalist für Wochenzeitschriften und literarische Wochenendbeilagen, Literaturkritiker und Schriftsteller arbeitet.
Andere auf deutsch erhältliche Bücher von ihm sind : 'Das Papierhaus'. Erzählung. Eichborn Verlag, Frankfurt 2004 (Originaltitel: 'Casa de Papel', übersetzt von Elisabeth Müller); 'Die blinde Küste'. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 16. August 2010 (Originaltitel: 'Costa Ciega', übersetzt von Susanne Lange). Seit 1985 schreibt er Erzählungen und Berichte die in Verlagen aus Argentinien und Uruguay verlegt sind. 2002 erhielt er 2 einheimische und einen spanischen Preis, 2004 einen aus Darmstadt und 2005 den Preis der jungen Autoren in Österreich.

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